Mehrere Generationen lang hat das Fernsehen unsere Wahrnehmung der Realität geprägt. Wenn es um bedeutende geschichtliche Ereignisse der letzten 50 Jahre geht, dann verbinden die meisten Menschen diese mit den entsprechenden Fernsehbildern. Dazu zählt die erste Mondlandung ebenso wie der Mauerfall oder die Anschläge vom 11. September 2001.
Das Fernsehen verbindet Menschen in einem kollektiven Erinnerungspool. Seine Wirkungskraft hat sich in den letzten Jahren sogar noch weiterentwickelt. Es scheint nicht übertrieben zu sein, dass viele Menschen ihre generelle Weltsicht, ihre Meinungen und Ansichten, davon abhängig machen, wie sich das Fernsehen zu bestimmten Themen positioniert. Viele sehen diese Position zunehmend gefährdet, wobei dieser Entwicklung nicht durchweg negativ bewertet wird. Als Leitmedium der öffentlichen Kommunikation scheint das Fernsehen durch das Internet mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt zu werden. Daher ist die Frage, ob das Fernsehen im digitalen Zeitalter noch eine Zukunft hat, durchaus berechtigt.
Was zeichnet das Fernsehen als Leitmedium aus?
Das Fernsehen war das Leitmedium der letzten Jahrzehnte. Zu verdanken hat es diese Stellung sicherlich vor allem der Tatsache, dass es die Merkmale der vorherigen Leitmedien wie Presse, Hörfunk und Film erfolgreich kombinierte. Somit wurden deren Wirkung spürbar optimiert. Außerdem hat das Fernsehen, wie kaum ein Leitmedium vorher, die Aufgabe bewältigt, sich stetig weiter zu entwickeln und sich zu aktualisieren. Dadurch wurde es den veränderten Ansprüchen anderer Generationen von Zuschauern gerecht. Viele Zuschauer machen kein Geheimnis daraus, dass das Fernsehen in Teilen sogar dazu dient, ihren Alltag beziehungsweise ihre Woche zu strukturieren. Das beginnt beim sogenannten “Frühstücksfernsehen” der privaten Sendeanstalten und endet lange nicht bei der nach wie vor sehr populären “Tagesschau” der ARD um 20:00 Uhr.
Dennoch hat das Fernsehen heute im Vergleich mit den neuen Medien eine Schwäche, die gerade junge Zuschauer bemängeln. Beim Internet wird ihnen die zeitgemäße Möglichkeit der Interaktivität geboten.
Fernsehen und Internet – Koexistenz oder Verdrängungskampf?
Das Internet hat in den letzten Jahren im Vergleich zu den Printmedien und eben auch zum Fernsehen stark aufgeholt. Es gilt vielen Nutzern inzwischen als primäres Nachrichtenmedium. Das Fernsehen schien unter dieser Entwicklung lange Zeit nicht zu leiden. Zusammen mit der gestiegenen Nutzungsdauer des Internets stieg laut der ARD/ZDF-Onlinestudie auch die Nutzungsdauer des Fernsehens. Zurückzuführen ist dies auf die Tatsache, dass die Medienzeit der meisten Menschen insgesamt gestiegen ist. Allerdings ist gerade bei Jugendlichen erkennbar, dass eine deutliche Verschiebung der Prioritäten zugunsten des Internets stattgefunden hat. In der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen betrug die durchschnittliche Mediennutzungsdauer am Tag 134 Minuten Fernsehen und 218 Minuten Internet. Die Sendeanstalten versuchen diesem Trend zu entsprechen, indem sie ihre Sendungen vermehrt in Mediatheken im Internet zur Ansicht bereit stellen. Denn eines scheint sicher: Der Aspekt der Strukturierung des Alltags durch das Fernsehen schwächt sich derzeit stark ab und hat unter Jugendlichen eigentlich überhaupt keine Bedeutung mehr. Das Internet ermöglicht den jungen Nutzern das Zusammenstellen eines Programmplans, der den persönlichen Bedürfnissen in optimaler Weise entspricht.
Anpassen und Überleben
Auch wenn das Angebot medialer Online-Angebote stetig wächst – ein vollständiger Ersatz für das Fernsehen ist noch nicht in Sicht. Aber die Weichen für eine Ablösung aus der herausgehobenen Position als Leitmedium scheinen gestellt. Das lässt sich auch daran ablesen, dass Aktivitäten und Vorgänge in sozialen Online-Medien inzwischen oft ein deutlich stärkeres mediales Echo verursachen, als die im Fernsehen gesendeten Ereignisse.
Die eingangs gestellte Frage, ob das Fernsehen im digitalen Zeitalter noch eine Zukunft hat, kann trotz dieser Entwicklung klar mit ja beantwortet werden. Es ist davon auszugehen, dass es noch für eine lange Zeit bei einer Parallelnutzung der beiden Medien bleiben wird. Das Fernsehen muss sich allerdings damit abfinden, dass es seine herausragende Stellung, die es über mehrere Jahrzehnte innehatte, abgeben muss. Das Fernsehen wird sich in einer von den Online-Medien dominierten Medienlandschaft verändern und noch stärker anpassen müssen. In der Zukunft entstehen vielleicht neue Mischformen. Dann steht das Fernsehen zwar nicht mehr im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit, aber es wird, genau wie die Zeitung oder das Buch, zumindest überleben.
In Teil 1 unserer Reihe: “Selbstvermarktung für Journalisten” haben wir die Zielgruppen definiert, in Teil 2, die Kontaktaufnahme mit dieser Zielgruppe thematisiert – und in diesem Teil unserer Reihe dreht sich alles um die Inhalte und deren Verteilung
Die eigene Anhängerschaft zur Weiterverteilung motivieren
Die Profile sind eingerichtet, die ersten Kontakte in den sozialen Netzwerken geknüpft – zum Beispiel, indem persönliche Bekannte direkt eingeladen werden. Und was nun?
Jetzt gilt es, die bestehenden Kontakte bei Laune zu halten und sie als „Makler“ für die eigene Sache einzuspannen. Denn wer relevante und/oder amüsante Informationen liefert, kann sich fast sicher sein, dass diese von den eigenen Anhängern weiterverteilt werden.
Das kann geschehen in Form öffentlich einsehbarer „Likes“ auf den Profilseiten bei Facebook (z. B. „XY gefällt das!“), durch ReTweets bei Twitter (gemeint ist das Weiterleiten von fremden Tweets) – aber in jedem Fall: völlig kostenlos!
Inhalte liefern – am einfachsten per Verweis auf eigene Arbeiten
Wer als Journalist nicht gänzlich neu „im Geschäft“ ist und schon ein paar online abrufbare Inhalte zu bieten hat, kann diese quasi „zweitverwerten“.
In einer Facebook-Gruppe oder einem Google+-Kreis wird ein Thema heiß diskutiert, über das ich schon einmal geschrieben habe? Einen cleveren Kommentar abgeben und darunter den Link zum eigenen Artikel setzen!
Bei Twitter ertönt ein neuer #Aufschrei? Thematisch passende eigene Arbeiten können in die Debatte eingespielt werden (bei emotional besetzten Themen sollte man aber sensibel vorgehen, um nicht unvermittelt Ziel eines Shitstorms zu werden).
Dieses Vorgehen erscheint besonders vorteilhaft bei selbst verfassten Online-Artikeln, die ohne Nennung des eigenen Namens erschienen sind – so kann eine Zuordnung zwischen Beitrag und Autor nachträglich noch hergestellt werden.
Umfangreiche Inhalte? Ein Blog bietet jede Menge Raum dafür!
Die sozialen Netzwerke eignen sich sehr gut, um kürzere Kommentare und/oder Verweise auf eigene Arbeiten zu verteilen. Längere Texte wirken dagegen schnell unübersichtlich und damit unleserlich.
Was aber, wenn ich mich nicht kurz fassen will oder kann – etwa, weil mein Thema zu komplex ist?
Dann muss definitiv ein Blog her. Als ganz persönliche journalistische Spielwiese lässt ein Blog dem Besitzer jede erdenkliche Freiheit (auch hinsichtlich der Textlänge). Und die eigenen Kontakte können weiter als „Verteiler“ genutzt werden, indem man sie auf neue Blogartikel aufmerksam macht.
Einen Blog anlegen und den Schwerpunkt bestimmen
Als Plattform für Blogs hat sich mittlerweile WordPress durchgesetzt – eine freie Blogsoftware, die stetig weiterentwickelt wird und für die WordPress Agenturen sehr gute WordPress Schulungen anbieten um dieses CMS System schnell und unkompliziert zu erlernen und zu beherrschen. Um in den Weiten des Netzes gut auffindbar zu sein, sollte der WordPress-Blog mit aussagekräftigem Namen unter einer Top-Level-Domain verfügbar sein (z. B. www.selbstvermarktungsblog.de). Entsprechende Angebote gibt es bei zahlreichen Webhostern für wenige Euro monatlich.
Der Name der Top-Level-Domain sollte die Ausrichtung des Blogs widerspiegeln. Und die wiederum sollte natürlich entsprechend den eigenen journalistischen Schwerpunkten gewählt werden: Von welchem Thema habe ich überdurchschnittlich viel Ahnung?
Bevor es losgeht – Impressum nicht vergessen!
Wer eine eigene Webseite betreibt, fällt unter die Impressumspflicht – das gilt natürlich auch für Blogger. Also: Die entsprechenden Angaben nicht vergessen.
Ist das geschehen, kann es endlich ans Eingemachte gehen: Jetzt muss der berühmt-berüchtigte Content geliefert werden.
Bloginhalte – erlaubt ist, was gefällt
Blogs als journalistisches Medien können die ganze Vielfalt des Journalismus abbilden. Es gibt im Grunde keine Vorgaben. Das heißt auch: Blogs sind keineswegs „text-only“ – wer eigenes Videomaterial oder Podcasts produziert hat, kann sie ebenfalls via Blog veröffentlichen.
Generell eignet sich ein Blog sehr gut, um die Öffentlichkeit an der eigenen Gedankenwelt teilhaben zu lassen. Journalistische Blogger greifen dabei häufig auf eine essayistische Form zurück: Ein „gehobener Plauderton“ und bissige Formulierungen sorgen für eine gute Zugänglichkeit und animieren zum Kommentieren und Weiterverteilen.
Der Blog bietet sich auch dazu an, Informationen zu publizieren, die an anderer Stelle nicht veröffentlicht werden konnten (etwa, wenn im Zuge einer Auftragsarbeit Rechercheergebnisse keinen Platz mehr im finalen Artikel gefunden haben).
Um eigene Artikel aufzulockern, können Fotos eingebettet oder per Link auf fremde Inhalte verwiesen werden, um dem Leser zusätzliche Informationen zu vermitteln. Das Verlinken (und Verlinkt-werden) sorgt außerdem dafür, dass der eigene Blog in der Google-Suche weiter vorn auftaucht, wenn nach thematisch passenden Begriffen gesucht wird.
Für Google sind ein- und ausgehende Links Anzeichen für die Beliebtheit und „Wichtigkeit“ einer Seite. Eine gute „Sichtbarkeit“ des eigenen Blogs bei Google ist entsprechend ein guter Gradmesser für den Erfolg.
Die Zukunft liegt im Lokaljournalismus. Zu diesem Ergebnis kamen bereits vor vier Jahren die Teilnehmer des »Mainzer Mediendisputs«. Tatsächlich handelt es sich bei der überwiegenden Mehrheit der in Deutschland erscheinenden Tageszeitungen um Regional- und Lokalzeitungen. Doch neben der klassischen Tageszeitung etabliert sich mittlerweile eine weitere Alternative: Lokale Nachrichtenblogs im Internet werden immer beliebter.
Hardy Prothmann setzte als einer der Ersten voll auf Lokaljournalismus im Internet. Der 47-jährige Journalist gründete 2009 das Heddesheim-Blog, das über lokale Themen aus der 11500-Einwohner-Gemeinde in der Nähe Mannheims berichtet. Mittlerweile betreibt er zahlreiche weitere Blogs über andere Gemeinden aus dem Rhein-Neckar-Kreis. Die Angebote funktionieren so gut, dass Prothmann inzwischen sogar eine eigene Volontärin ausbildet.
Tatsächlich war es bis hierhin ein weiter Weg. Prothmann meint, dass es knapp zwei Jahre dauere, bis sich ein Lokalangebot im Internet finanziell von selbst trage. Dabei gilt es in erster Linie Werbekunden zu überzeugen, die bisher vor allem in klassischen Printmedien Anzeigen schalteten.
Wie schwer dies sein kann, hat Mark Lubkowitz erlebt. Der Journalist betreibt seit 2011 die Website »Ismaninger Online«, die über das Geschehen aus einer Gemeinde im Norden Münchens berichtet. Zwar entwickelte sich das Projekt schnell, die Seitenaufrufe wurden immer mehr, zuletzt waren es zwischen 1000 und 2000 pro Tag. Was ausblieb waren jedoch die Werbeeinnahmen. Kaum ein Ismaninger Unternehmen wollte auf der Website inserieren. Die Wenigen, die es dennoch taten, machten es nur, »um mir persönlich einen Gefallen zu tun«, sagt Lubkowitz. Hauptproblem war seiner Meinung nach nicht die Reichweite, sondern die Relevanz.
Seit 1. Juli 2014 befindet sich »Ismaninger Online« im »Ruhezustand«. Die Website wird komplett überarbeitet, Lubkowitz sagt, dass er künftig »Lokaljournalismus 3.0« produzieren möchte. Dazu zählt vor allem die Konzentration auf das Wesentliche. Schnelle Meldungen und Nachrichten aus den Vereinen wird es künftig nicht mehr geben. »Die Vereine veröffentlichen diese News bereits selbst auf ihren eigenen Websites. Die Webseite Ismaninger Online muss also nicht zum Multiplikator verkommen«, schreibt Lubkowitz in einem Beitrag zur Neuausrichtung des Lokalblogs.
Stattdessen sollen in Zukunft vor allem gründlich recherchierte Geschichten, Meinungen und Interviews im Vordergrund stehen. Es werde dann nur noch für die Leser geschrieben und nicht mehr für etwaige Werbekunden. Die Jagd nach immer mehr Klickzahlen und Seitenaufrufen soll beendet werden. Das erinnert verblüffend an das Konzept, das auch die mittels »Crowdfunding« finanzierten »Krautreporter« verfolgen.
Um Einnahmen zu generieren, will Lubkowitz künftig vor allem auf soziale Netzwerke setzen. News aus den Vereinen auf Twitter, Facebook und Co. sollen bei »Ismaninger Online« gesammelt und entsprechend verlinkt werden. Hierdurch hätten auch Benutzer Zugriff auf solche Inhalte, die bisher nicht in den entsprechenden Netzwerken aktiv seien. Werbung werde nur noch in den eigenen »Social Media«-Kanälen geschaltet. Dadurch werde sie für die Unternehmen transparenter, da diese sofort ein Feedback erhielten, was die User tatsächlich bewegt. Die Reichweite von »Ismaninger Online« auf Facebook, Twitter oder Google+ sei zudem deutlich größer als die jedes Ismaninger Unternehmens. Daneben denkt Lubkowitz auch über eine Integration des Zahlungsdienstes »LaterPay« auf der neuen Website nach.
Ein Problem von »Ismaninger Online« ist die starke lokale Konkurrenz vor Ort. Neben Tageszeitungen mit Lokalteil, wie der »Süddeutschen Zeitung« oder dem »Münchner Merkur«, gibt es mit den gemeindeeigenen »Ortsnachrichten« und dem Anzeigenblatt »Ismaninger Rundschau« gleich mehrere Konkurrenzpublikationen. Eine solche Konkurrenzsituation stellt jedoch die Ausnahme in Deutschland dar: In fast 60 Prozent aller Gemeinden und Kommunen erscheint lediglich eine einzige lokale Tageszeitung. Daneben erscheinende Anzeigenblätter gehören oftmals zum selben Verlag. Ein echter Wettbewerb ist damit nicht gegeben.
Dabei haben Inhaltsanalysen durchaus ergeben, dass sich verschiedene Lokalmedien sowohl inhaltlich unterscheiden als auch gegenseitig ergänzen. Dies zeigt auch ein Beispiel aus Berlin. Dort gibt es mit den »Prenzlauerberg Nachrichten« und der »Prenzlberger Stimme« gleich zwei konkurrierende Lokalblogs. Zwar berichten beide aus dem Bezirk Prenzlauer Berg, dennoch liegt der Fokus auf jeweils unterschiedlichen Themen. Während die »Prenzlberger Stimme« vor allem auf Nachrichten setzt, gibt es für die Leser bei den »Prenzlauerberg Nachrichten« mehr Hintergrundgeschichten. Beide Angebote ergänzen sich also.
Klassische Printmedienmacher sollten die digitale hyperlokale Konkurrenz daher nicht fürchten, sondern als Ansporn nehmen, selbst besser zu werden. Denn dank gut recherchierter Geschichten und Porträts ist Lokaljournalismus mehr als nur der Bericht über die letzte Sitzung des Kaninchenzüchtervereins.
Am 10. März 2012 ging der »Zugmonitor« der »Süddeutschen Zeitung« online. Dabei handelt es sich um eine interaktive Grafik, die anzeigt, ob Züge in Deutschland pünktlich sind. Der Zugmonitor war das erste große Datenjournalismus-Projekt, das in Deutschland auf breite Resonanz stieß. Es zeigt, wie sich Journalismus verändert.
Seit dem Zugmonitor folgten viele weitere Datenprojekte auf sueddeutsche.de. Unter der Rubrik »DataGraph« werden inzwischen alle Datenjournalismus-Projekte der Zeitung zusammengefasst. Bis heute sind es fast 50. Nicht nur Zugverspätungen werden hier visualisiert, sondern auch Wahlen, die wirtschaftliche Entwicklung oder Lobbybeziehungen von Politikern.
Die SZ macht diese Projekte nicht, um neue journalistische Stilformen zu testen, sondern weil sie notwendig im Kampf um die Leser sind. So schreibt Sueddeutsche.de-Chef Stefan Plöchinger in seinem Buch »Wie innovativ Journalismus sein muss«, dass datenjournalistische Projekte zwar unglaublich teuer sein mögen. Gleichzeitig müsse man sie aber durchführen, zum einen aus journalistischen aber eben auch aus wirtschaftlichen Gründen. »In einem sehr dichten Wettbewerb der Internetangebote« helfe nur »publizistische Differenzierung«. Nur so könne man herausstechen und das Publikum überzeugen.
Dabei wird allerhand Neuland betreten. Der sogenannte »Europa-Atlas«, in dem die Lebensverhältnisse der Bürger in den einzelnen europäischen Ländern veranschaulicht werden, entstand beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Universität Augsburg. Die Anwendung wurde im Rahmen der Bachelorarbeit von einem Studenten programmiert. Die SZ probiert also auch hier neue Möglichkeiten aus.
Vieles an den Projekten wirkt heute noch experimentell. Die Bedienung des »Europa-Atlas« ist beispielsweise noch nicht wirklich ausgereift und teilweise schwierig. Bereits im vergangenen Jahr forderte der Journalist Lorenz Matzat daher, dass in den Redaktionen künftig nicht nur Programmierer, sondern auch Usability- und Interfacedesigner sitzen müssten. Nur so könnte eine ansprechende Bedienoberfläche für die Multimediaprojekte der Online-Medien geschaffen werden.
Die »Süddeutsche Zeitung« war die erste überregionale Zeitung, die in Deutschland das Thema Datenjournalismus einer breiten Öffentlichkeit praktisch näher brachte. Inzwischen haben viele andere Zeitungen und Magazine nachgezogen. Die Berliner »taz« etwa zeigt Übergriffe auf Politiker und Anschläge auf Parteibüros in Deutschland in einer interaktiven Karte. Im Rahmen des Projekts »Hochschulwatch« werden zudem Verbindungen zwischen Wirtschaft und Hochschulen offengelegt. So wird gezeigt, welche Unternehmen sich wie an deutschen Universitäten engagieren und Einfluss nehmen. Neben Stiftungen, Stipendien und Sponsoring werden hier Vertreter aus der Wirtschaft genannt, die im Hochschulrat der jeweiligen Universität sitzen.
Auch bei »Spiegel Online« wird Datenjournalismus immer wichtiger. Bereits im vergangenen Jahr hatte dessen Chef vom Dienst Matthias Streitz in einem Interview mit dem Datenjournalisten Timo Stukenberg angedeutet, man wolle dieses Thema jetzt forciert angehen. In fast allen Resorts gebe es bereits eigene Datenjournalisten. Streitz sprach dabei auch ein Problem an, das vor allem am Anfang auftrat: Die neue Darstellungsform musste erst entdeckt werden. So habe man beispielsweise bei der Berichterstattung über »Wikileaks« zu stark auf textliche Aufbereitung gesetzt und zu wenig bedacht, wie eine grafische oder multimediale Aufbereitung aussehen könnte. Dies wolle man in der Zukunft verbessern. Zudem müssten datenjournalistische Projekte langfristig geplant werden, sodass bei kurzfristigen Geschehnissen eine entsprechende Darstellung derzeit noch nicht möglich sei.
Seit dem Interview ist viel geschehen bei »Spiegel Online«. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Datenjournalismus-Projekten. Das Größte davon überrascht: die Berichterstattung über die Fußball-Bundesliga. Die Hamburger greifen hierfür auf die Daten des Dienstleisters opta zurück. In der Datenbank werden nicht nur die Daten zu jedem einzelnen Spieler eingepflegt, sondern es gibt fast alles, was irgendwie während eines Spiels gezählt werden kann: Erfolgreiche und erfolglose Pässe, Dribblings, Flanken, Torschüsse, Ballsicherungen und Abseitsstellungen werden ebenso erfasst, wie die Raumaufteilung oder vom Torwart gefaustete Bälle. Mit einem Klick auf die entsprechende Schaltfläche werden diese Statistiken dann visuell dargestellt.
Eines kann die Analysesoftware auf »Spiegel Online« aber noch nicht: Automatisch Spielberichte verfassen. Das klingt wie eine Zukunftsvision, aber ist doch bereits heute Realität. Roboterjournalismus heißt diese neue Stilform im Onlinejournalismus, die seit etwa 2009 existiert. Damals wurden im Rahmen des Projekts »Stats Monkey« in den USA erstmals automatische Spielberichte zu Baseball-Spielen erzeugt. Aus dem »Stats Monkey« ist inzwischen das Unternehmen »NarrativeScience« entstanden, das zum Marktführer in Sachen Roboterjournalismus geworden ist. So entwickelte das Unternehmen einen speziellen Bot, der Aktienmärkte analysieren und Marktanalysen schreiben kann. Inzwischen verfasst dieser Bot bei Forbes ein eigenes Blog, indem Aktienbewertungen vorgenommen werden.
Lorenz Matzat etwa denkt, dass in Deutschland beim Fußball der Roboterjournalismus seinen großen Durchbruch schaffen werde. Grund sei, dass Sportereignisse besonders einfach statistisch zu erfassen seien. Aus den gewonnenen Daten könne dann ein entsprechender Spielbericht geschrieben werden. Dabei könnte sogar einfließen, wie laut die Fans bei gewissen Spielsituationen jeweils jubelten. Doch selbst wenn in Zukunft einzelne Spielberichte durch Algorithmen geschrieben werden, eines wird ein Roboter so schnell nicht können: Interviews nach dem Spiel führen und auswerten.
Roboter können aber dabei helfen entsprechende Routineaufgaben zu übernehmen und menschliche Journalisten dadurch entlasten. So kann zum Beispiel Recherchematerial automatisch sortiert und getaggt werden. Durch Spracherkennung und entsprechende Algorithmen werden Interviews automatisch transkribiert. Und Meldungen der verschiedenen Nachrichtenagenturen pflegt der Computer automatisch in das Content-Management-System des Verlags ein.
Dabei sollten Journalisten sich aber nicht blind auf die Arbeit der elektronischen Helfer verlassen. Rechercheergebnisse sollten beispielsweise stets selbst überprüft werden. Auch beim Umschreiben von Agenturmeldungen oder Pressemitteilungen ist das menschliche Gehirn gefragt: Denn entsprechende Marketingsprüche kann ein Algorithmus nur schwer selbst erkennen. Lorenz Matzat sagte daher auch auf der Messe »re:publica 2014«, dass bei aller Liebe zum Roboterjournalismus stets der Pressekodex gelten müsse. Insbesondere das Gebot der wahrheitsgetreuen Wiedergabe und Überprüfung von Fakten stehe hier an erster Stelle.
Datenjournalismus und Roboterjournalismus gehen also Hand in Hand. Im Redaktionsalltag sollte dennoch nicht zu viel auf diese neuen Formate geschaut werden. Gewiss, es mag eine Arbeitserleichterung durch automatisches Zusammentragen von Daten und Sortieren geben. Wer sich aber zu sehr auf die Hilfe von Maschinen verlässt, verlernt das journalistische Handwerk. Im Mittelpunkt guter Reportagen stehen nur selten Fakten, sondern Menschen. Und die trifft man am besten persönlich, um ihre Geschichte aufzuschreiben.
Suchmaschinenoptimierung (SEO) ist im deutschen Online-Journalismus salonfähig geworden. Während vor ein paar Jahren die Verlage von dem Thema noch nichts wissen wollten, beschäftigen sie heute eigene SEO-Experten. Doch bereichert eine Optimierung der Artikel für Google und Co. den Journalismus oder schadet sie ihm?
SEO dient in erster Linie dazu, Leser auf die eigene Homepage zu locken. Je mehr Leser, desto höher die Werbeeinnahmen lautet die einfache Formel. Holger Schmidt hat in einem Beitrag auf netzoekonom.de einmal ausgewertet, wie die deutschen Nachrichtenseiten im Internet bisher ihre Leser gewinnen. Dazu griff er auf die Daten von similarweb.com zurück. Der Service zeigt für jede beliebige Website, wie Besucher darauf zugreifen, etwa über die normalen Suchmaschinenbetreiber, über soziale Netzwerke, durch Direkteingabe in den Browser oder aber über Links auf anderen Internetseiten.
Nach der Auswertung profitieren vor allem Bild.de und »Spiegel Online« von ihren Stammlesern. Jeweils 65,5 Prozent der Besucher gelangen auf die Website über eine Direkteingabe der Adresse. Im Gegenzug gewinnen beide Websites nur knapp 13 Prozent ihrer Leser über die Suchmaschinen. Das ist der niedrigste Wert aller deutschen Nachrichtenseiten. Ausgeglichener sieht die Lesergewinnung bei den Online-Angeboten der »Süddeutschen Zeitung«, der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und bei der »Zeit« aus. Etwa 50 Prozent der Leser kommen direkt auf die Seite, um die 25 Prozent werden durch Google, Bing und Co. gewonnen. Den besten Wert bei der Gewinnung von Lesern per Suchmaschine haben »Focus Online« und Welt.de: Über 38 Prozent der Besucher kommen über Suchmaschinen auf die Seiten. Während auf Welt.de immerhin noch 38 Prozent der Leser durch Direkteingabe landen, sind es bei »Focus Online« nur 34 Prozent, was den schlechtesten Wert im Vergleichstest darstellt.
Fast ohne Bedeutung für deutsche Nachrichtenseiten sind die sozialen Netzwerke. Nur um die 10 Prozent der Leser werden hierüber gewonnen. Am besten schneidet auch hier »Focus Online« mit knapp 17 Prozent ab. Zum Vergleich: Typische Clickbait-Sites wie Viralnova.com oder heftig.co erzielen hier Werte von 80 Prozent und mehr.
Dass heute praktisch alle großen Verlage und Agenturen auf SEO setzen, ist eine kleine Sensation. Noch im Jahr 2012 etwa waren die Chefs von Süddeutsche.de und »Spiegel Online« eher skeptisch. Und vor wenigen Monaten behauptete Bild.de Chef Julian Reichelt gar in einem Interview mit dem Branchendienst turi2, dass »Focus Online« Inhalte von Bild.de abschreibe und durch seine »berüchtigte Focus.de-Google-Optimierung laufen« lasse.
Nur bei einem Thema sind viele deutsche Online-Chefredakteure noch skeptisch: Republishing. Darunter versteht man das erneute Einstellen der Artikel im Internet, wobei nur kleine Veränderungen vorgenommen werden. Zum Beispiel wird dabei die Überschrift geändert. Das hat den netten Nebeneffekt, dass Google denken soll, dass es sich um einen neuen Artikel handelt und diesen daher erneut indizieren soll.
Bereits im Jahr 2012 zeigte K. Antonia Schäfer in der Juniausgabe des Magazins »Journalist«, dass Stern.de Artikelüberschriften entsprechend häufig umschreibt. Als Beispiel diente ein Artikel zur Trennung von Heidi Klumm und Seal. Stolze sechsmal wurde die Überschrift geändert, teilweise wurden dabei nur einzelne Worte vertauscht: Statt »Heidi Klumm und Seal« hieß es plötzlich »Seal und Heidi Klumm«, statt »Seal trägt seinen Ehering noch immer« hieß es dann »Seal trägt noch immer seinen Ehering«.
Der Kampf um das beste Ranking führt aber auch zu absurden Situationen. Sobald beispielsweise ein Wettbewerber von Sueddeutsche.de ein Thema übernimmt und selbst etwas veröffentlicht, schlagen die Münchner zurück und passen ihre Google-Snippet-Texte an. Dadurch sichern sie sich erneut den ersten Platz bei den Suchmaschinen. Sueddeutsche.de-Chef Plöchinger sagt dazu offen in der Zeitschrift »Journalist«: »Wir wären irre, wenn wir das nicht täten.«
Abgesehen von diesen Veränderungen an den Überschriften und Snippet-Texten betrifft die Suchmaschinenoptimierung (SEO) sowohl Agenturen als auch die Leser direkt. So wird von vielen Journalistenausbildern gepredigt, dass im Internet vor allem kurze, präzise Sätze gefragt seien. Der Leser sei weniger konzentriert, daher müsse die Sprache entsprechend angepasst werden. Das hat freilich den schönen Nebeneffekt, dass auch die Suchmaschinen den Text so einfacher analysieren können.
Doch auch solche Sprachanpassungen schaden dem Journalismus nicht. Für viele Leser weit nerviger sind da schon endlose Klickstrecken. Selbst im Sport-Resort dürfen sie nicht fehlen. Statt eine interaktive Taktiktafel zu programmieren, in der gezeigt wird, wie ein Tor in einem Spiel der Bundesliga zustande kam, wird lieber eine 18-teilige Klickstrecke produziert. Auch wenn aufgedeckt wird, wie Helmut Kohl über frühere Politiker-Kollegen lästert, wird dazu eine lange Klickstrecke mit den einzelnen Zitaten des Altkanzlers veröffentlicht. Denn jeder Klick darauf steigert schließlich die Werbeeinnahmen.
Nicht zuletzt Liveticker nehmen überhand. Während sie bei Sportevents oder aktuellen Ereignissen durchaus ihre Berechtigung haben können, wird heute scheinbar alles getickert, was getickert werden kann – ganz egal wie sinnvoll es ist. Dass es auch besser geht, zeigt Sueddeutsche.de: Stefan Plöchinger kündigte an diesem Dienstag an, verstärkt ständig aktualisierte Texte zu veröffentlichen. Das Wichtigste steht dabei als Zusammenfassung zu Beginn. Anschließend folgen Themenblöcke, die aktualisiert werden, sobald sich etwas Neues ergibt. Sowohl für den Leser als auch für die Newssite hat das Vorteile: Der Leser wird nicht gelangweilt, indem er zig neue Einstiege in immer dasselbe Thema lesen muss und die »Süddeutsche Zeitung« profitiert vom besseren Ranking durch die laufenden Updates.
Diese Lösung ist nur ein Ansatzpunkt, wie Suchmaschinenoptimierung (SEO) und Journalismus gelungen kombiniert werden können. In Zukunft wird sich zeigen, ob die Verlage darüber hinaus weitere Wege finden, die ihre Leser im Gegensatz zu Klickstrecken und Livetickern nicht langweilen. Wenn dies der Fall wäre, hätte SEO dem Online-Journalismus insgesamt sogar geholfen, sich weiterzuentwickeln und besser zu werden.
Wolfgang Büchner ist Chefredakteur des Spiegel und wollte etwas Ungeheuerliches wagen, das ihn fast seinen Job kostete: die Verschmelzung der Online- und Print-Redaktionen des Hamburger Nachrichtenmagazins.
Der Spiegel gehört zu den wenigen deutschen Presseerzeugnissen, die es sich leisten können, zwei getrennte Redaktionen zu haben. Eine Redaktion kümmert sich nur um das gedruckte Magazin, die andere ist für den Online-Auftritt Spiegel Online zuständig. Büchner plante beim Konzept »Spiegel 3.0«, endlich beide Redaktionen zusammenzulegen. Aus diesem Grund sollten die Ressortleiterstellen neu ausgeschrieben werden. Kritiker warfen ihm jedoch vor, dass er hierdurch lediglich ihm missliebige Ressortleiter loswerden will. Zudem fürchteten vermutlich viele Print-Journalisten, dass sie hierdurch etwaige Privilegien verlieren könnten.
Die zwölf Print-Ressortleiter liefen also Sturm. In einem Brandbrief an die Gesellschafter des Verlages forderten sie, das Konzept zu überarbeiten. Andernfalls führe dies dazu, dass »alle alles müssen« sollen, und zwar »unabhängig von Qualifikation und Kompetenzen«. Nicht auszumalen also, was wohl passieren würde, wenn ein Print-Journalist da plötzlich mit dem Internet in Berührung käme. Die »journalistische Qualität der eingeführten Produkte« sei »gefährdet«. Auch gebe es überhaupt keine Notwendigkeit für »diesen Totalumbau der hierarchischen Struktur«. Die Planungen zum »Spiegel 3.0« sollten daher vorerst zurückgestellt werden, es müsse vielmehr zunächst eine Übergangsstruktur geschaffen werden. Bis dahin sollten jedenfalls die getrennten Ressortleiterstellen erhalten bleiben.
Keiner möchte also seine Privilegien verlieren – schon gar nicht, wenn sie vielleicht sogar Onlinern zum Opfer fallen könnten. Nach Medienberichten unterstützten fast 90 Prozent der Print-Redakteure die Position der Ressortleiter, während die Online-Redakteure auf der Seite Büchners standen.
Am Ende verkündeten die Gesellschafter zwar, dass das Projekt ihre Unterstützung genieße. Gleichzeitig wurde aber auch betont, dass die Chefredaktion und die Geschäftsführer den Umbau in »enger Zusammenarbeit mit den Redaktionen von Spiegel und Spiegel Online verwirklichen wollen«. Das gelte sowohl für die Umsetzung an sich als auch was den Zeitablauf betrifft. Anders ausgedrückt: Büchner darf erst mal weitermachen, aber ob er noch den Zusammenschluss von Print- und Online-Redaktionen in der Rolle als Chefredakteur erlebt, steht in den Sternen. Zumal es unmittelbar nach Bekanntgabe der Gesellschaftermitteilung hieß, dass Büchner sich aus dem »journalistischen Tagesgeschäft« weitgehend zurückziehe. Dies dürften die Print-Redakteure ebenfalls begrüßen, die ihm laut eines Berichts der Süddeutschen Zeitung vorwerfen, nicht genügend Erfahrung mit einem wöchentlichen Magazin zu haben.
Der Graben zwischen Print- und Online-Journalisten in Deutschland ist also groß. Das zeigt auch das Beispiel des Chefredakteurs von sueddeutsche.de Stefan Plöchinger. Der 37-Jährige hat das Online-Portal der Süddeutschen Zeitung seit seinem Amtsantritt vor drei Jahren zur Nummer 5 auf dem deutschen Online-Nachrichten-Markt gemacht. Aus diesem Grund wollte ihn SZ-Chefredakteur Kurt Kister in die Chefredaktion der Zeitung holen. Ganz zum Unmut einiger Print-Kollegen, die Plöchinger vorwarfen, er habe nicht genügend journalistische Erfahrung im Schreiben von Texten.
Während ein solcher Vorwurf zumindest noch nachvollziehbar sein mag, entbrannte an anderer Stelle eine ganz neue Schlacht zwischen Online- und Offline-Journalisten. Die Zeit hatte über den Vorgang berichtet und erwähnte in diesem Zusammenhang auch, dass Plöchinger ein »Kapuzenpulliträger« sei, was wohl entsprechend abwertend gemeint war. Dies griff Harald Staun in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf und schrieb zum Fall Plöchinger:
“Wobei ja vielleicht wirklich nichts dagegen spricht, einen Internetexperten in die Führungsriege der Zeitung aufzunehmen. Wäre es aber dann nicht sinnvoll, auch einen Journalisten in die Chefredaktion von Süddeutsche.de zu holen?”
Eine Aussage, die verständlicherweise für viel Empörung bei Online-Journalisten sorgte. Auf Twitter begann ein »Shitstorm«: Allerlei Kollegen bekundeten ihre Solidarität mit dem Chefredakteur von sueddeutsche.de und veröffentlichten Fotos von sich im Kapuzenpulli. Der »Hoodiejournalismus« war geboren.
Die Aussage Stauns in der FAS zeigt, wie wenig Print-Journalisten oft vom Online-Journalismus verstehen. 45 Jahre nach Gründung des Internets ist immer noch die Meinung verbreitet, dass dort kein richtiger Journalismus gemacht wird. In ihrem »Neuen Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus« schreiben der langjährige Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule Wolf Schneider und der Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen Paul-Josef Raue daher auch, dass viele Zeitungsredakteure Onliner noch immer gering schätzten. Dabei arbeiteten Online-Redaktionen doch wie Zeitungsredaktionen – nur viel schneller und viel härter. Gerade Anfänger hätten bei Online große Chancen, wenn sie sich nicht vom Zeitdruck drangsalieren ließen und die Technik souverän beherrschten.
Überhaupt: die Sache mit der Technik. Oft denken Print-Journalisten scheinbar, dass die Online-Kollegen nur damit beschäftigt sind »Multimedia-Inhalte« zu generieren. Dass vermutlich 90 Prozent aller Online-Journalisten vor allem recherchieren, schreiben und redigieren, wissen sie offenbar nicht oder verdrängen es – denn das würde ja bedeuten, dass im Internet tatsächlich echter Journalismus gemacht wird.
Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels: Am 16. September wurde Stefan Plöchinger doch noch in die Chefredaktion der SZ gewählt. Beim Spiegel hingegen eskaliert derzeit die Lage. Wolfgang Büchner hat zuletzt die Stellen von zwei Ressortleitern neu ausgeschrieben. Das führte nun dazu, dass sich neben dem Großteil der Printredaktion auch noch der Betriebsrat gegen Büchner wendet. Es dürfte also nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Büchner seinen Posten räumen muss. Die Verwirklichung des Konzepts »Spiegel 3.0« scheint damit in weite Ferne gerückt.
Und so bleibt nur zu hoffen, dass sich sein Nachfolger als Chefredakteur dann schlauer verhält und auf die Ängste der Print-Journalisten tatsächlich eingeht. Denn so wichtig eine Verschmelzung des Online- und Offline-Bereichs auch sein mag, es hilft nichts, die eigenen Kollegen vor den Kopf zu stoßen. In Zeiten von sinkenden Auflagen und massivem Stellenabbau in den Verlagen und Redaktionen sollten schließlich alle Journalisten gemeinsam daran arbeiten, dass diese Abwärtsspirale gestoppt wird. Ganz egal, ob sie online oder offline arbeiten.
Auftraggeber, Kollegen und Mediennutzer haben schlechte Chancen, Kontakt zu einem Journalisten aufzunehmen oder ihn und seine Arbeit im Auge zu behalten, wenn er nicht „sichtbar“ ist.
In Zeiten des Social Web mit seinen unzähligen Möglichkeiten zur Selbstdarstellung ist es ein Leichtes, ins Licht der Öffentlichkeit zu treten. Der Journalist Karsten Lohmeyer empfiehlt, die gebotenen Möglichkeiten effektiv zu einer Strategie zu bündeln: Der Journalist sollte zur Marke werden.
Das soll heißen: Bewährte Strategien aus der Marketingwelt sollten genutzt werden, um die eigene Arbeit und Person im Bewusstsein der Zielgruppen positiv zu verankern. Die Kunden sollen beim Durchstöbern des Medienangebots immer wieder auf die vertraute „Qualitätsmarke“ stoßen und zum „Konsum“ verleitet werden.
Gemeint ist also der Aufbau einer Markenidentität, die nach außen hin Qualität signalisiert. Der Journalist Moritz Sauer empfiehlt seinen Kollegen, sich dafür an folgenden Fragen zu orientieren:
Dadurch lassen sich die eigenen Stärken gut erkennen, um sie anschließend aktiv und zielgruppenspezifisch zu bewerben: Marketingleute sprechen auch von Positionierung.
Die inhaltliche Erkennbarkeit, die durch eine Markenidentität geschaffen wird, kann anschließend um optische Gestaltungsmerkmale (also ein Corporate Design) ergänzt werden. Idealerweise erkennt dann auch ein flüchtiger Betrachter sofort, wer hinter einem Text/Video/Podcast steht (und greift auf das Angebot zu, anstatt weiter zu surfen).
Wer als Journalist viele verschiedene Kanäle nutzt, um die eigene Arbeit publik zu machen, kann durch eine einheitliche Gestaltungsweise den Wiedererkennungswert deutlich erhöhen.
Die Kombination aus einer immer und auf allen Kanälen genutzten Schriftart, -farbe und -größe, vielleicht auch einem (Schrift-)Logo und einem prägnanten Slogan erhöht den Wiedererkennungswert ungemein – deshalb investieren Unternehmen ja auch viel Geld dafür. Als Journalist kann man sich das Geld sparen – und sich stattdessen einfach einmal kurz Gedanken über diesen Punkt machen: Was könnte mich und meine Arbeit optisch gut widerspiegeln?
Herrscht erst einmal Klarheit über das (optische und inhaltliche) Selbstbild, muss es anschließend der restlichen Welt vermittelt werden – dazu stehen zahllose soziale Netzwerke und Communities zur Auswahl. Hier sollte von vornherein gelten: Immer einen separaten Account für die eigenen professionellen Zwecke anlegen (auch wenn es z. B. schon einen privaten Facebook-Account gibt).
Die eigenen Nutzerprofile sollten anschließend mit Daten gefüllt werden, die den professionellen Charakter unterstreichen (also Angaben zu den eigenen Schwerpunktthemen, bisherigen Arbeitgebern etc.).
Auf welchen sozialen Plattformen man aktiv sein möchte, sollte von ihrer Reichweite sowie ihrem Nutzerkreis abhängen.
Sinnvoll ist es sicherlich, in Business-Netzwerken wie XING oder kress-köpfe (einem Branchenportal für Medienberufe) Präsenz zu zeigen. Denn hier bestehen in einem „professionellen“ Umfeld die besten Chancen, Entscheider zu erreichen, neue Aufträge an Land zu ziehen und Kontakte zu Kollegen zu knüpfen.
Dann wären da natürlich die reichweitenstarken sozialen Netzwerke Facebook und Google+. Wer hier seine Spuren hinterlässt – Einträge auf Profilseiten kommentiert, interessante Fundstücke aus dem Netz teilt, Freundschaftsanfragen an Gleichgesinnte verschickt – wird nicht lange auf neue Kontakte warten müssen. Und unter denen lassen sich dann eigene Inhalte teilen und weiterverbreiten.
Gerade für Journalisten ist Twitter ein hervorragendes Instrument: Zum einen als Informationsquelle (indem man Personen folgt, die zu den eigenen Schwerpunktthemen twittern), zum anderen, um selbst zu zeigen, dass man in aller Kürze Informatives liefern kann (und so Follower dazugewinnt).
Darüber hinaus existieren unzählige Communities, mit denen sich weitere, enger umgrenzte Personenkreise gezielt ansprechen lassen. Ein Fotojournalist könnte etwa bei der Bilder-Community flickr sein Publikum finden, während der freiberufliche VJ seine Kurzbeiträge bei Youtube präsentieren könnte.
Um Facebook-Freunde, Twitter-Follower oder Channel-Abonnenten zu gewinnen, muss man ihnen etwas bieten: interessante Inhalte. „Content is king“ gilt auch im Social Web – zumindest, wenn er gut verdaulich ist und häppchenweise geliefert wird. Wer gerne ausführlicher schreiben möchte, sollte besser den Weg in die Blogosphäre antreten.
Die journalistische Karriere in Schwung bringen – durch Selbstvermarktung
Freiberufler müssen die eigenen Produkte und Dienstleistungen in der Regel selbst unters Volk bringen, um Geld zu verdienen – das gilt für Musiker und Designer ebenso wie für freie Journalisten.
Für jeden Freiberufler sollte es daher das Ziel sein, sich nicht nur mit Qualitätsarbeit einen guten Ruf zu erarbeiten, sondern auch aktiv für die eigene Bekanntheit zu sorgen.
Denn „nur“ durch exzellente Arbeitsleistung lässt sich der Lebensunterhalt kaum bestreiten, wenn niemand davon erfährt und darum auch keiner dafür zahlt.
Auch und gerade freie Journalisten müssen daher etwas Zeit und Energie aufwenden, um positiv aufzufallen und in Erinnerung zu bleiben.
Möglichst viele potentielle Auftraggeber erreichen und überzeugen: Beim Stichwort „Selbstvermarktung“ dürften die ersten Gedanken wohl in diese Richtung gehen. Und auch für Journalisten stehen die Beziehungen zu Verlagen und Redaktionen verständlicherweise meist im Vordergrund, denn das sichert unmittelbar das eigene Auskommen.
Darüber hinaus gibt es jedoch auch weitere Personenkreise, die Medienschaffende bei den eigenen Selbstvermarktungsbemühungen berücksichtigen sollten.
Durch Respekt gegenüber Menschen, die derselben Tätigkeit nachgehen, lässt sich viel erreichen. Trotz der angespannten Lage – Stichwort “Medienkrise” – ist kollegialer Zusammenhalt unter Journalisten als Ausdruck gegenseitiger Wertschätzung keineswegs die Ausnahme. Das reicht vom ungezwungenen Gedankenaustausch, aus dem sich Ideen für neue Artikel oder Beiträge ergeben können, über die Weitergabe von Wissen bis hin zur Vermittlung von Informanten oder Abnehmern für die eigene Arbeit.
Einen „natürlichen“ Schwerpunkt der eigenen Selbstvermarktungsbemühungen sollte das Publikum bilden: Wer glaubt, dass nur Kontakte zu Medienunternehmen letztlich Geld bringen, denkt recht kurzsichtig.
Über soziale Netzwerke können Informationen hohe Verbreitung erfahren und digitale Mundpropaganda kann dabei helfen, schnell (und kostenlos!) Bekanntheit zu erlangen. Massenhaft geteilter, guter Journalismus erzeugt mit Sicherheit Aufmerksamkeit – auch gegenüber Medienunternehmen, die an einer lukrativen Zusammenarbeit interessiert sein könnten.
Darüber hinaus können sich ein hohes Ansehen und namentliche Bekanntheit beim Publikum aber auch anderweitig auszahlen.
Wer guten, engagierten oder auch kontroversen Journalismus betreibt, der viele Menschen erreicht, der kann auch mit Feedback rechnen. Sei es bei Online-Medien über die Kommentarfunktion oder ganz klassisch per Leserbrief: Wortmeldungen aus dem Publikum zur eigenen Arbeit können durch Lob motivieren, aber auch durch konstruktive Kritik den eigenen Horizont erweitern.
Sie bieten zudem einen Ansatz für den Journalisten, mit „seinem“ Publikum direkt in Kontakt zu treten und es näher kennenzulernen; Leserbriefe können ebenso beantwortet werden wie einzelne Wortmeldungen in Kommentarspalten. Ein ernsthafter Austausch mit den Rezipienten, der auf Respekt beruht, trägt wesentlich zum eigenen Renommee bei.
Engagierter Journalismus in Verbindung mit offenkundiger Wertschätzung für das Publikum kann auch dazu führen, dass sich Einzelpersonen mit ihren eigenen Geschichten offenbaren. Wer als Journalist etwa die schlechten Arbeitsbedingungen im Online-Versandhandel darlegt, erhält nicht selten Rückmeldungen von Betroffenen. Daraus können sich wiederum Ansätze für weitere Arbeiten ergeben.
Lediglich gute Qualität abzuliefern, dürfte heutzutage nicht mehr ausreichen: Zu viele Freie konkurrieren um zu wenige (und immer weniger werdende) Aufträge. Für Journalisten empfiehlt sich ein ganzheitlicher Selbstvermarktungs-Ansatz, der potentielle Auftraggeber ebenso berücksichtigt wie (Fach-)Kollegen und das eigene Publikum. Damit dürften die eigenen Investitionen – um in der Marketing-Terminologie zu bleiben – den maximalen Profit abwerfen.
Möglichkeiten, um diese eigenen „Marketingziele“ zu erreichen, gibt es heutzutage glücklicherweise genug, insbesondere online – etwa über die verschiedenen sozialen Medien oder mittels Blogging.
Bezahlschranken bzw. Paywalls im Internet werden in Deutschland gern als Rettungsanker des Online-Journalismus gesehen. Indes zeigen Beispiele aus den USA, dass eine Paywall kein Allheilmittel ist. Ein Überblick:
Nach Recherchen des Branchendienstes »kress« haben mittlerweile 76 Zeitungsverlage eine Paywall bzw. Bezahlschranke eingeführt. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) rechnet damit, dass diese Zahl bis zum Jahresende auf über 100 steigen wird. Besonders fällt auf, dass das Thema Paywall vor allem für kleine Zeitungen relevant ist. Während nur drei überregionale Zeitungen auf Online-Zahlungen setzen, verbergen 73 regionale Zeitungen ihre Inhalte hinter einer Bezahlschranke.
Tatsächlich muss zwischen verschiedenen Paywall-Modellen unterschieden werden: Beim sogenannten Freemium-Modell werden sowohl kostenlose als auch kostenpflichtige Artikel auf der Website veröffentlicht. Die zu bezahlenden Inhalte sind häufig Exklusiv-Geschichten oder aufwendigere Reportagen. In Deutschland nutzen etwa drei Viertel der Zeitungen dieses Modell, unter anderem auch der Onlineauftritt der »Bild«-Zeitung.
Beim »Metered Modell« hingegen sind grundsätzlich alle Artikel auf einer Website kostenlos. Erst wenn der Leser eine bestimmte Anzahl an Artikeln angeklickt hat, schließt sich die Bezahlschranke und es muss ein entsprechender Tages- oder Monatspass gekauft werden, um weitere Inhalte ansehen zu können. Pionier für dieses Modell war die amerikanische »New York Times«. Auf dem deutschen Markt wird das »Metered Modell« beispielsweise von »Welt Online« eingesetzt, die 20 Artikel pro Monat ohne Bezahlung anbietet.
Schließlich gibt es auch noch die echte Paywall, bei der die gesamte Website hinter der Bezahlschranke liegt. In Deutschland nutzen derzeit lediglich drei Zeitungen dieses sehr restriktive Modell.
Einen vollkommen anderen Weg geht hingegen die Tageszeitung »taz«. Hier wurde mit »taz-zahl-ich« ein Freiwilligen-Modell eingeführt. Grundsätzlich sind alle Nachrichten und Reportagen kostenlos erhältlich, der Leser wird beim Anklicken jedoch danach gefragt, ob er für den jeweiligen Artikel bezahlen möchte. Pro Monat verdient der Verlag so um die 10.000 Euro.
In den USA verabschieden sich derweil immer mehr Medien von den eingeführten Bezahlschranken. Vor allem für viele kleine Regionaltitel hat sich die Strategie nicht gelohnt. Bereits im August 2013 erklärte der »San Francisco Chronicle« sein Paywall-Experiment für gescheitert. Und mit der »Dallas Morning News« zog nur drei Monate später die nächste bekanntere Regionalzeitung nach. Beiden war es nicht gelungen, genügend Leser zu gewinnen, die für die Inhalte auch bezahlen wollten.
Jim Moroney, Herausgeber der »Dallas Morning News«, wollte daher wissen, für welche Inhalte die Leser tatsächlich bereit sind zu zahlen, und machte eine überraschende Entdeckung: Vom Angebot exakt derselben Inhalte, die auch in der gedruckten Zeitung zu lesen waren, machten lediglich fünf Prozent der Leser Gebrauch, obwohl der Preis im Internet um 90 Prozent günstiger war als die Printausgabe. »Die Leute wollen nicht für die Inhalte bezahlen; sie bezahlen lieber dafür, wie wir die Informationen zu ihnen bringen und sie präsentieren«, fasste Moroney die Ergebnisse zusammen. Die »Dallas Morning News« will daher in Zukunft verstärkt an der Präsentation der eigenen Beiträge arbeiten. Dazu zählt neben einer Website selbstverständlich auch eine entsprechende App für Tablets und Smartphones.
Die Anzahl der Werbung auf der Website soll reduziert werden, denn viele Leser erwarten online eine komplette Werbefreiheit, wenn sie für Inhalte bezahlen sollen. Eine Mischfinanzierung aus Verkaufserlösen und Werbeeinnahmen, wie sie bei gedruckten Zeitungen und Zeitschriften üblich ist, funktioniert im Internet hingegen nicht.
Selbst die renommierte »New York Times« hat Probleme: Laut einem internen Untersuchungsbericht gehen die Seitenaufrufe immer weiter zurück und die User ziehen kleinere News-Websites wie »Buzzfeed« der etablierten Zeitung vor. Die Macher des Berichts raten der »New York Times«, sich eher auf zeitlose Geschichten und mehr Hintergrundreportagen zu konzentrieren.
Ob angesichts dieser Beispiele die Bezahlschranken in Deutschland den Verlagen den erhofften Erfolg bringen, darf bezweifelt werden. Immerhin: Nach etwa einem halben Jahr hat »Welt Online« mit dem »Metered Modell« knapp 50.000 Abonnenten gewonnen. Und auch Martina Lenk, Geschäftsführerin von »Madsack Online«, zeigt sich zuversichtlich: »Wir haben trotz des Bezahlmodells an Reichweite zugelegt und dadurch mehr Werbeerlöse erzielt. Gleichzeitig haben wir erstmals Vertriebserlöse erzielt.«
Die Frage stellen sich Journalisten immer wieder: Ist beim Online-Journalismus die Aktualität eigentlich wichtiger als ein ausführlicher Artikel der auch die Hintergründe aufzeigt?
Der Niederländer Rob Wijnberg betreibt etwas, was nach Meinung der meisten deutschen Medienmacher überhaupt nicht funktionieren kann: Er ist Herausgeber der Online-Zeitschrift „De Correspondent“, die vor allem Reportagen, Kolumnen und Hintergrundberichte veröffentlicht. Auf tagesaktuelle Nachrichten wird komplett verzichtet. Mit diesem Konzept konnte er innerhalb einer Woche 15.000 Leser gewinnen und über eine Million Euro einnehmen.
Dabei lernt in Deutschland jeder Journalistenschüler, dass Leser im Internet vor allem auf Aktualität setzen und lange Hintergrundartikel meiden. „Das Ende eines Artikels erreichen die wenigsten“, meint etwa der langjährige Leiter der Hamburger Journalistenschule Wolf Schneider. Nur die Ersten, eine Nachricht online stellten, würden auch beachtet.
Der Drang nach ständiger Aktualität treibt mitunter seltsame Blüten. Besonders populär sind derzeit allerlei „Liveticker“. Ob NSU-Prozess, Flug „MH 370“ oder die Krise in der Ukraine: Zu beinahe jedem Thema, zu dem es etwas zu berichten gibt, existiert mindestens ein Ticker. Und wenn es einmal nichts Neues gibt, wird trotzdem weitergetickert.
Die im Internet über allem stehenden Klickzahlen geben den Verlagen scheinbar recht: Dank des Livetickers zum Skiunfall des ehemaligen Formel-1-Rennfahrers Michael Schumacher schaffte es „Focus Online“ nach Berechnungen des Branchendienstes Meedia auf Platz 2 der am häufigsten aufgerufenen Nachrichtenseiten im Januar 2014. Damit erreichten die Münchner erstmals mehr Leser als „Spiegel Online“.
Tatsächlich dürften die Klickzahlen aber eher das Werk einer gezielten Suchmaschinenoptimierung (SEO) sein und weniger das echte Interesse der Leser nach Aktualität widerspiegeln. Da die Tickerseiten bei Google oder Bing auf den ersten Plätzen gelistet werden, klicken automatisch mehr potenzielle Leser die jeweilige Seite an. Ob sie dabei das finden, was sie auch suchten, erklären die Klickzahlen nicht.
Tatsächlich erwarten die Leser heute nicht nur abgeschriebene Pressemitteilungen und umformulierte Agenturberichte. Bei einer Umfrage des Journalisten Konrad Lischka auf Twitter gaben viele User an, dass sie vor allem gut recherchierte Artikel, Hintergründe und Zusammenhänge auf deutschen Online-Nachrichtenseiten vermissten. Oftmals wurde hinsichtlich der gewünschten Artikellänge der Vergleich mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ herangezogen. Zwar werden auf „Spiegel Online“ hin und wieder Artikel aus dem gedruckten Spiegel veröffentlicht, aber die meisten Storys stammen von einer eigenen Online-Schriftleitung, die unabhängig von der Print-Redaktion arbeitet.
Viele überregionale Zeitungsverlage sind der Meinung, dass das Internet keinen Platz für ausführliche Geschichten bietet. Sie befürchten, dass sie durch eine Online-Veröffentlichung nicht genug verdienen, um die Recherchekosten zu finanzieren. Hintergrundartikel und mehrseitige Reportagen sind deshalb ausschließlich in der gedruckten Tageszeitung zu finden. Wieso onlineaffine Leser dann aber plötzlich zur gedruckten Ausgabe einer Zeitung oder eines Magazins greifen sollten, um die gewünschten Hintergrundartikel zu lesen, bleibt ein Geheimnis der Verlage.
Tatsächlich sieht die Realität anders aus: Praktisch alle Printmedien verzeichnen einen starken Rückgang der Absatzzahlen. Sowohl „Der Spiegel“ als auch die „Bild-Zeitung“ büßten innerhalb der letzten zehn Jahre jeweils über ein Drittel der Auflage ein. Die meisten Leser greifen also nicht zum Druck-Erzeugnis, sondern suchen sich Online-Quellen, um die gewünschten Informationen zu erhalten. Das können Blogs sein, soziale Netzwerke oder eben ein Hintergrundmagazin wie „De Correspondent“.
Ob sich auch in Deutschland so ein solch unaufgeregter Journalismus im Internet behaupten kann, dürfte sich schon in den nächsten Wochen zeigen. Ähnlich wie Ron Wijnberg mit seinem „Correspondent“ haben 28 deutsche Journalisten das Projekt „Krautreporter“ gestartet. Bis zum 13. Juni wollen sie von mindestens 15.000 Unterstützern einen Mitgliedsbeitrag in Höhe von 60 Euro pro Jahr einnehmen, um die Online-Zeitschrift zu realisieren. Wie sein niederländisches Pendant soll der „Krautreporter“ sich auf Hintergrundberichte und Reportagen spezialisieren und auf Werbung komplett verzichten. Die erste Resonanz stimmt positiv: Nach nur 24 Stunden haben bereits knapp 2.000 Personen das Projekt unterstützt.