Suchmaschinenoptimierung (SEO) ist im deutschen Online-Journalismus salonfähig geworden. Während vor ein paar Jahren die Verlage von dem Thema noch nichts wissen wollten, beschäftigen sie heute eigene SEO-Experten. Doch bereichert eine Optimierung der Artikel für Google und Co. den Journalismus oder schadet sie ihm?
SEO dient in erster Linie dazu, Leser auf die eigene Homepage zu locken. Je mehr Leser, desto höher die Werbeeinnahmen lautet die einfache Formel. Holger Schmidt hat in einem Beitrag auf netzoekonom.de einmal ausgewertet, wie die deutschen Nachrichtenseiten im Internet bisher ihre Leser gewinnen. Dazu griff er auf die Daten von similarweb.com zurück. Der Service zeigt für jede beliebige Website, wie Besucher darauf zugreifen, etwa über die normalen Suchmaschinenbetreiber, über soziale Netzwerke, durch Direkteingabe in den Browser oder aber über Links auf anderen Internetseiten.
Nach der Auswertung profitieren vor allem Bild.de und »Spiegel Online« von ihren Stammlesern. Jeweils 65,5 Prozent der Besucher gelangen auf die Website über eine Direkteingabe der Adresse. Im Gegenzug gewinnen beide Websites nur knapp 13 Prozent ihrer Leser über die Suchmaschinen. Das ist der niedrigste Wert aller deutschen Nachrichtenseiten. Ausgeglichener sieht die Lesergewinnung bei den Online-Angeboten der »Süddeutschen Zeitung«, der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« und bei der »Zeit« aus. Etwa 50 Prozent der Leser kommen direkt auf die Seite, um die 25 Prozent werden durch Google, Bing und Co. gewonnen. Den besten Wert bei der Gewinnung von Lesern per Suchmaschine haben »Focus Online« und Welt.de: Über 38 Prozent der Besucher kommen über Suchmaschinen auf die Seiten. Während auf Welt.de immerhin noch 38 Prozent der Leser durch Direkteingabe landen, sind es bei »Focus Online« nur 34 Prozent, was den schlechtesten Wert im Vergleichstest darstellt.
Fast ohne Bedeutung für deutsche Nachrichtenseiten sind die sozialen Netzwerke. Nur um die 10 Prozent der Leser werden hierüber gewonnen. Am besten schneidet auch hier »Focus Online« mit knapp 17 Prozent ab. Zum Vergleich: Typische Clickbait-Sites wie Viralnova.com oder heftig.co erzielen hier Werte von 80 Prozent und mehr.
Dass heute praktisch alle großen Verlage und Agenturen auf SEO setzen, ist eine kleine Sensation. Noch im Jahr 2012 etwa waren die Chefs von Süddeutsche.de und »Spiegel Online« eher skeptisch. Und vor wenigen Monaten behauptete Bild.de Chef Julian Reichelt gar in einem Interview mit dem Branchendienst turi2, dass »Focus Online« Inhalte von Bild.de abschreibe und durch seine »berüchtigte Focus.de-Google-Optimierung laufen« lasse.
Nur bei einem Thema sind viele deutsche Online-Chefredakteure noch skeptisch: Republishing. Darunter versteht man das erneute Einstellen der Artikel im Internet, wobei nur kleine Veränderungen vorgenommen werden. Zum Beispiel wird dabei die Überschrift geändert. Das hat den netten Nebeneffekt, dass Google denken soll, dass es sich um einen neuen Artikel handelt und diesen daher erneut indizieren soll.
Bereits im Jahr 2012 zeigte K. Antonia Schäfer in der Juniausgabe des Magazins »Journalist«, dass Stern.de Artikelüberschriften entsprechend häufig umschreibt. Als Beispiel diente ein Artikel zur Trennung von Heidi Klumm und Seal. Stolze sechsmal wurde die Überschrift geändert, teilweise wurden dabei nur einzelne Worte vertauscht: Statt »Heidi Klumm und Seal« hieß es plötzlich »Seal und Heidi Klumm«, statt »Seal trägt seinen Ehering noch immer« hieß es dann »Seal trägt noch immer seinen Ehering«.
Der Kampf um das beste Ranking führt aber auch zu absurden Situationen. Sobald beispielsweise ein Wettbewerber von Sueddeutsche.de ein Thema übernimmt und selbst etwas veröffentlicht, schlagen die Münchner zurück und passen ihre Google-Snippet-Texte an. Dadurch sichern sie sich erneut den ersten Platz bei den Suchmaschinen. Sueddeutsche.de-Chef Plöchinger sagt dazu offen in der Zeitschrift »Journalist«: »Wir wären irre, wenn wir das nicht täten.«
Abgesehen von diesen Veränderungen an den Überschriften und Snippet-Texten betrifft die Suchmaschinenoptimierung (SEO) sowohl Agenturen als auch die Leser direkt. So wird von vielen Journalistenausbildern gepredigt, dass im Internet vor allem kurze, präzise Sätze gefragt seien. Der Leser sei weniger konzentriert, daher müsse die Sprache entsprechend angepasst werden. Das hat freilich den schönen Nebeneffekt, dass auch die Suchmaschinen den Text so einfacher analysieren können.
Doch auch solche Sprachanpassungen schaden dem Journalismus nicht. Für viele Leser weit nerviger sind da schon endlose Klickstrecken. Selbst im Sport-Resort dürfen sie nicht fehlen. Statt eine interaktive Taktiktafel zu programmieren, in der gezeigt wird, wie ein Tor in einem Spiel der Bundesliga zustande kam, wird lieber eine 18-teilige Klickstrecke produziert. Auch wenn aufgedeckt wird, wie Helmut Kohl über frühere Politiker-Kollegen lästert, wird dazu eine lange Klickstrecke mit den einzelnen Zitaten des Altkanzlers veröffentlicht. Denn jeder Klick darauf steigert schließlich die Werbeeinnahmen.
Nicht zuletzt Liveticker nehmen überhand. Während sie bei Sportevents oder aktuellen Ereignissen durchaus ihre Berechtigung haben können, wird heute scheinbar alles getickert, was getickert werden kann – ganz egal wie sinnvoll es ist. Dass es auch besser geht, zeigt Sueddeutsche.de: Stefan Plöchinger kündigte an diesem Dienstag an, verstärkt ständig aktualisierte Texte zu veröffentlichen. Das Wichtigste steht dabei als Zusammenfassung zu Beginn. Anschließend folgen Themenblöcke, die aktualisiert werden, sobald sich etwas Neues ergibt. Sowohl für den Leser als auch für die Newssite hat das Vorteile: Der Leser wird nicht gelangweilt, indem er zig neue Einstiege in immer dasselbe Thema lesen muss und die »Süddeutsche Zeitung« profitiert vom besseren Ranking durch die laufenden Updates.
Diese Lösung ist nur ein Ansatzpunkt, wie Suchmaschinenoptimierung (SEO) und Journalismus gelungen kombiniert werden können. In Zukunft wird sich zeigen, ob die Verlage darüber hinaus weitere Wege finden, die ihre Leser im Gegensatz zu Klickstrecken und Livetickern nicht langweilen. Wenn dies der Fall wäre, hätte SEO dem Online-Journalismus insgesamt sogar geholfen, sich weiterzuentwickeln und besser zu werden.