Wolfgang Büchner ist Chefredakteur des Spiegel und wollte etwas Ungeheuerliches wagen, das ihn fast seinen Job kostete: die Verschmelzung der Online- und Print-Redaktionen des Hamburger Nachrichtenmagazins.
Der Spiegel gehört zu den wenigen deutschen Presseerzeugnissen, die es sich leisten können, zwei getrennte Redaktionen zu haben. Eine Redaktion kümmert sich nur um das gedruckte Magazin, die andere ist für den Online-Auftritt Spiegel Online zuständig. Büchner plante beim Konzept »Spiegel 3.0«, endlich beide Redaktionen zusammenzulegen. Aus diesem Grund sollten die Ressortleiterstellen neu ausgeschrieben werden. Kritiker warfen ihm jedoch vor, dass er hierdurch lediglich ihm missliebige Ressortleiter loswerden will. Zudem fürchteten vermutlich viele Print-Journalisten, dass sie hierdurch etwaige Privilegien verlieren könnten.
Die zwölf Print-Ressortleiter liefen also Sturm. In einem Brandbrief an die Gesellschafter des Verlages forderten sie, das Konzept zu überarbeiten. Andernfalls führe dies dazu, dass »alle alles müssen« sollen, und zwar »unabhängig von Qualifikation und Kompetenzen«. Nicht auszumalen also, was wohl passieren würde, wenn ein Print-Journalist da plötzlich mit dem Internet in Berührung käme. Die »journalistische Qualität der eingeführten Produkte« sei »gefährdet«. Auch gebe es überhaupt keine Notwendigkeit für »diesen Totalumbau der hierarchischen Struktur«. Die Planungen zum »Spiegel 3.0« sollten daher vorerst zurückgestellt werden, es müsse vielmehr zunächst eine Übergangsstruktur geschaffen werden. Bis dahin sollten jedenfalls die getrennten Ressortleiterstellen erhalten bleiben.
Keiner möchte also seine Privilegien verlieren – schon gar nicht, wenn sie vielleicht sogar Onlinern zum Opfer fallen könnten. Nach Medienberichten unterstützten fast 90 Prozent der Print-Redakteure die Position der Ressortleiter, während die Online-Redakteure auf der Seite Büchners standen.
Am Ende verkündeten die Gesellschafter zwar, dass das Projekt ihre Unterstützung genieße. Gleichzeitig wurde aber auch betont, dass die Chefredaktion und die Geschäftsführer den Umbau in »enger Zusammenarbeit mit den Redaktionen von Spiegel und Spiegel Online verwirklichen wollen«. Das gelte sowohl für die Umsetzung an sich als auch was den Zeitablauf betrifft. Anders ausgedrückt: Büchner darf erst mal weitermachen, aber ob er noch den Zusammenschluss von Print- und Online-Redaktionen in der Rolle als Chefredakteur erlebt, steht in den Sternen. Zumal es unmittelbar nach Bekanntgabe der Gesellschaftermitteilung hieß, dass Büchner sich aus dem »journalistischen Tagesgeschäft« weitgehend zurückziehe. Dies dürften die Print-Redakteure ebenfalls begrüßen, die ihm laut eines Berichts der Süddeutschen Zeitung vorwerfen, nicht genügend Erfahrung mit einem wöchentlichen Magazin zu haben.
Der Graben zwischen Print- und Online-Journalisten in Deutschland ist also groß. Das zeigt auch das Beispiel des Chefredakteurs von sueddeutsche.de Stefan Plöchinger. Der 37-Jährige hat das Online-Portal der Süddeutschen Zeitung seit seinem Amtsantritt vor drei Jahren zur Nummer 5 auf dem deutschen Online-Nachrichten-Markt gemacht. Aus diesem Grund wollte ihn SZ-Chefredakteur Kurt Kister in die Chefredaktion der Zeitung holen. Ganz zum Unmut einiger Print-Kollegen, die Plöchinger vorwarfen, er habe nicht genügend journalistische Erfahrung im Schreiben von Texten.
Während ein solcher Vorwurf zumindest noch nachvollziehbar sein mag, entbrannte an anderer Stelle eine ganz neue Schlacht zwischen Online- und Offline-Journalisten. Die Zeit hatte über den Vorgang berichtet und erwähnte in diesem Zusammenhang auch, dass Plöchinger ein »Kapuzenpulliträger« sei, was wohl entsprechend abwertend gemeint war. Dies griff Harald Staun in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf und schrieb zum Fall Plöchinger:
“Wobei ja vielleicht wirklich nichts dagegen spricht, einen Internetexperten in die Führungsriege der Zeitung aufzunehmen. Wäre es aber dann nicht sinnvoll, auch einen Journalisten in die Chefredaktion von Süddeutsche.de zu holen?”
Eine Aussage, die verständlicherweise für viel Empörung bei Online-Journalisten sorgte. Auf Twitter begann ein »Shitstorm«: Allerlei Kollegen bekundeten ihre Solidarität mit dem Chefredakteur von sueddeutsche.de und veröffentlichten Fotos von sich im Kapuzenpulli. Der »Hoodiejournalismus« war geboren.
Die Aussage Stauns in der FAS zeigt, wie wenig Print-Journalisten oft vom Online-Journalismus verstehen. 45 Jahre nach Gründung des Internets ist immer noch die Meinung verbreitet, dass dort kein richtiger Journalismus gemacht wird. In ihrem »Neuen Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus« schreiben der langjährige Leiter der Henri-Nannen-Journalistenschule Wolf Schneider und der Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen Paul-Josef Raue daher auch, dass viele Zeitungsredakteure Onliner noch immer gering schätzten. Dabei arbeiteten Online-Redaktionen doch wie Zeitungsredaktionen – nur viel schneller und viel härter. Gerade Anfänger hätten bei Online große Chancen, wenn sie sich nicht vom Zeitdruck drangsalieren ließen und die Technik souverän beherrschten.
Überhaupt: die Sache mit der Technik. Oft denken Print-Journalisten scheinbar, dass die Online-Kollegen nur damit beschäftigt sind »Multimedia-Inhalte« zu generieren. Dass vermutlich 90 Prozent aller Online-Journalisten vor allem recherchieren, schreiben und redigieren, wissen sie offenbar nicht oder verdrängen es – denn das würde ja bedeuten, dass im Internet tatsächlich echter Journalismus gemacht wird.
Doch es gibt Licht am Ende des Tunnels: Am 16. September wurde Stefan Plöchinger doch noch in die Chefredaktion der SZ gewählt. Beim Spiegel hingegen eskaliert derzeit die Lage. Wolfgang Büchner hat zuletzt die Stellen von zwei Ressortleitern neu ausgeschrieben. Das führte nun dazu, dass sich neben dem Großteil der Printredaktion auch noch der Betriebsrat gegen Büchner wendet. Es dürfte also nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Büchner seinen Posten räumen muss. Die Verwirklichung des Konzepts »Spiegel 3.0« scheint damit in weite Ferne gerückt.
Und so bleibt nur zu hoffen, dass sich sein Nachfolger als Chefredakteur dann schlauer verhält und auf die Ängste der Print-Journalisten tatsächlich eingeht. Denn so wichtig eine Verschmelzung des Online- und Offline-Bereichs auch sein mag, es hilft nichts, die eigenen Kollegen vor den Kopf zu stoßen. In Zeiten von sinkenden Auflagen und massivem Stellenabbau in den Verlagen und Redaktionen sollten schließlich alle Journalisten gemeinsam daran arbeiten, dass diese Abwärtsspirale gestoppt wird. Ganz egal, ob sie online oder offline arbeiten.