Einen guten Journalisten machen neunzig Prozent Recherche und zehn Prozent Talent aus. Diese Ansage mancher Dozenten an journalistischen Bildungseinrichtungen weist auf die Bedeutung des Recherchierens im Medienberuf hin. Das stilistische Können gehört zwar zweifelsohne zum Erfolg, und auch die Idee für Beiträge kann zündende Wirkung haben. Doch alles dies nützt nichts, wenn nicht gründlich und umfassend recherchiert wird. Jede Nachricht, aus der ein Beitrag entstehen soll, muss von allen Seiten beleuchtet werden. Sind Genre sowie Thema und Absicht eines Beitrages festgelegt, ist der nächste Schritt die Ermittlung der Fakten. Als Hilfsmittel zum strukturierten Vorgehen dienen die sieben W-Fragen: Fünf von ihnen bilden das Basiswissen, die anderen beiden liefern Zusatzinformationen.
Dieses Fragenkonstrukt dient dem gezielten Vorgehen und erweist sich bei der laufenden Sammlung von Informationen als Basis für neue Fakten, die hinterfragt werden wollen. Hier ist Vorsicht geboten und Wesentliches vom Unwesentlichen zu trennen. Was will ich wirklich aussagen? Welche Rechercheergebnisse sind dafür tatsächlich notwendig? Thema und Absicht dürfen nicht aus den Augen verloren werden: Sie müssen die Zielgerade bestimmen.
Da auch das journalistische Arbeiten nicht immer ein Wunschkonzert ist, gibt es neben den eigenen Ideen für Themen die Artikelvergabe. Das heißt, der Journalist hat sich die Aufgabe nicht selbst gewählt, sondern bekommt sie als Auftrag. Die Motivation für diese Entscheidung bedeutet entweder, dass man für diese Geschichte prädestiniert ist oder schlicht kein anderer da ist, der sie schreiben kann. Auch das gehört zum Redaktionsalltag. Je nach Voraussetzungen kann auf Basiswissen zurückgegriffen oder muss bei Null angefangen werden.
Ein journalistischer Beitrag lebt von konkreter fachlicher Kompetenz. Aus diesem Grund gehört zur Recherche, diese Qualifikation über Quellen zu erhalten. Schließlich kann der Journalist zwar über dauerhaft verspätete Züge in einem x-beliebigen Bahnhof schreiben, die nötigen Fakten dazu liefert ihm aber der zuständige Ansprechpartner vor Ort. Neben der Vermittlung des eigenen Eindrucks können konkrete Informationen als Zitate mit dem Namen der Quelle angegeben werden. Möchte ein Informant nicht genannt werden, ist es möglich, ihn mit einem Alias auszustatten und die Bemerkung „der Name ist der Redaktion bekannt“ anzuführen. Erhält die Redaktion einen Tipp, ist ähnlich zu verfahren: “nach Recherchen/Informationen unserer Zeitung”. Grundsätzlich gilt: Wenn eine Quelle nicht zitiert werden möchte, hat dies so zu geschehen. Allerdings: Tatsachenbehauptungen über einen Dritten muss bei einer Klage beweisen können und das kann mit Informanten, die anonym bleiben wollen, schwierig werden.
Ein anderer wichtiger Punkt ist die Objektivität bei der Recherche. Da es nahezu immer zwei Seiten der Medaille, also eines Ereignisses gibt, ist es notwendig, die jeweiligen Parteien mit ihren Ansichten zu erwähnen bzw. ihnen die Möglichkeit einer Meinungsäußerung oder Stellungnahme zu geben. Je nach Thema und Brisanz muss fallbezogen entschieden werden, wieviel Raum der Problematik gegeben wird. Gegenüber den Befragten kann man sich durch einen Presseausweis als Journalist legitimieren. Dann wissen die Gesprächspartner auch, dass man regelmäßig und dauerhaft journalistisch tätig ist.
Bei einer klaren Auseinandersetzung, die viele Menschen interessiert, können zum journalistischen Beitrag die Leser/Hörer/Zuschauer in die Diskussion einbezogen werden. Auch hier ist es wichtig, immer zu wissen, mit wem man es zu tun hat.
Während der Phase der Recherche kann es natürlich auch passieren, dass das Thema so viele Informationen bietet, dass sich zu einem Bericht wegen seiner Brisanz noch ein Leitartikel aufdrängt oder sich zu einer Reportage noch ein Kurzporträt anbietet. Zudem kann das angehäufte Faktenmaterial und damit Hintergrundwissen für weitere Beiträge zu diesem Thema genutzt werden. Ein Beispiel dafür ist die Serie. Eine weitere Möglichkeit besteht, die recherchierten Informationen in Bezug zu einer anderen, aber tangierenden Thematik zu stellen und dazu wiederum Fragen aufzuwerfen.
Grundsätzlich gilt bei allen Recherchearbeiten, die Fakten und die Quellen zu überprüfen, also eine sogenannte Gegenrecherche vorzunehmen. Nichts ist für das Renommee, die Glaubwürdigkeit eines Journalisten und dessen Bekenntnis zum Qualitätsjournalismus so rufschädigend, wie einer “Ente”, einer Falschmeldung, aufgesessen zu sein.
Andrea Gerum
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