Bezahlschranken bzw. Paywalls im Internet werden in Deutschland gern als Rettungsanker des Online-Journalismus gesehen. Indes zeigen Beispiele aus den USA, dass eine Paywall kein Allheilmittel ist. Ein Überblick:
Nach Recherchen des Branchendienstes »kress« haben mittlerweile 76 Zeitungsverlage eine Paywall bzw. Bezahlschranke eingeführt. Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) rechnet damit, dass diese Zahl bis zum Jahresende auf über 100 steigen wird. Besonders fällt auf, dass das Thema Paywall vor allem für kleine Zeitungen relevant ist. Während nur drei überregionale Zeitungen auf Online-Zahlungen setzen, verbergen 73 regionale Zeitungen ihre Inhalte hinter einer Bezahlschranke.
Tatsächlich muss zwischen verschiedenen Paywall-Modellen unterschieden werden: Beim sogenannten Freemium-Modell werden sowohl kostenlose als auch kostenpflichtige Artikel auf der Website veröffentlicht. Die zu bezahlenden Inhalte sind häufig Exklusiv-Geschichten oder aufwendigere Reportagen. In Deutschland nutzen etwa drei Viertel der Zeitungen dieses Modell, unter anderem auch der Onlineauftritt der »Bild«-Zeitung.
Beim »Metered Modell« hingegen sind grundsätzlich alle Artikel auf einer Website kostenlos. Erst wenn der Leser eine bestimmte Anzahl an Artikeln angeklickt hat, schließt sich die Bezahlschranke und es muss ein entsprechender Tages- oder Monatspass gekauft werden, um weitere Inhalte ansehen zu können. Pionier für dieses Modell war die amerikanische »New York Times«. Auf dem deutschen Markt wird das »Metered Modell« beispielsweise von »Welt Online« eingesetzt, die 20 Artikel pro Monat ohne Bezahlung anbietet.
Schließlich gibt es auch noch die echte Paywall, bei der die gesamte Website hinter der Bezahlschranke liegt. In Deutschland nutzen derzeit lediglich drei Zeitungen dieses sehr restriktive Modell.
Einen vollkommen anderen Weg geht hingegen die Tageszeitung »taz«. Hier wurde mit »taz-zahl-ich« ein Freiwilligen-Modell eingeführt. Grundsätzlich sind alle Nachrichten und Reportagen kostenlos erhältlich, der Leser wird beim Anklicken jedoch danach gefragt, ob er für den jeweiligen Artikel bezahlen möchte. Pro Monat verdient der Verlag so um die 10.000 Euro.
In den USA verabschieden sich derweil immer mehr Medien von den eingeführten Bezahlschranken. Vor allem für viele kleine Regionaltitel hat sich die Strategie nicht gelohnt. Bereits im August 2013 erklärte der »San Francisco Chronicle« sein Paywall-Experiment für gescheitert. Und mit der »Dallas Morning News« zog nur drei Monate später die nächste bekanntere Regionalzeitung nach. Beiden war es nicht gelungen, genügend Leser zu gewinnen, die für die Inhalte auch bezahlen wollten.
Jim Moroney, Herausgeber der »Dallas Morning News«, wollte daher wissen, für welche Inhalte die Leser tatsächlich bereit sind zu zahlen, und machte eine überraschende Entdeckung: Vom Angebot exakt derselben Inhalte, die auch in der gedruckten Zeitung zu lesen waren, machten lediglich fünf Prozent der Leser Gebrauch, obwohl der Preis im Internet um 90 Prozent günstiger war als die Printausgabe. »Die Leute wollen nicht für die Inhalte bezahlen; sie bezahlen lieber dafür, wie wir die Informationen zu ihnen bringen und sie präsentieren«, fasste Moroney die Ergebnisse zusammen. Die »Dallas Morning News« will daher in Zukunft verstärkt an der Präsentation der eigenen Beiträge arbeiten. Dazu zählt neben einer Website selbstverständlich auch eine entsprechende App für Tablets und Smartphones.
Die Anzahl der Werbung auf der Website soll reduziert werden, denn viele Leser erwarten online eine komplette Werbefreiheit, wenn sie für Inhalte bezahlen sollen. Eine Mischfinanzierung aus Verkaufserlösen und Werbeeinnahmen, wie sie bei gedruckten Zeitungen und Zeitschriften üblich ist, funktioniert im Internet hingegen nicht.
Selbst die renommierte »New York Times« hat Probleme: Laut einem internen Untersuchungsbericht gehen die Seitenaufrufe immer weiter zurück und die User ziehen kleinere News-Websites wie »Buzzfeed« der etablierten Zeitung vor. Die Macher des Berichts raten der »New York Times«, sich eher auf zeitlose Geschichten und mehr Hintergrundreportagen zu konzentrieren.
Ob angesichts dieser Beispiele die Bezahlschranken in Deutschland den Verlagen den erhofften Erfolg bringen, darf bezweifelt werden. Immerhin: Nach etwa einem halben Jahr hat »Welt Online« mit dem »Metered Modell« knapp 50.000 Abonnenten gewonnen. Und auch Martina Lenk, Geschäftsführerin von »Madsack Online«, zeigt sich zuversichtlich: »Wir haben trotz des Bezahlmodells an Reichweite zugelegt und dadurch mehr Werbeerlöse erzielt. Gleichzeitig haben wir erstmals Vertriebserlöse erzielt.«
Die Frage stellen sich Journalisten immer wieder: Ist beim Online-Journalismus die Aktualität eigentlich wichtiger als ein ausführlicher Artikel der auch die Hintergründe aufzeigt?
Der Niederländer Rob Wijnberg betreibt etwas, was nach Meinung der meisten deutschen Medienmacher überhaupt nicht funktionieren kann: Er ist Herausgeber der Online-Zeitschrift „De Correspondent“, die vor allem Reportagen, Kolumnen und Hintergrundberichte veröffentlicht. Auf tagesaktuelle Nachrichten wird komplett verzichtet. Mit diesem Konzept konnte er innerhalb einer Woche 15.000 Leser gewinnen und über eine Million Euro einnehmen.
Dabei lernt in Deutschland jeder Journalistenschüler, dass Leser im Internet vor allem auf Aktualität setzen und lange Hintergrundartikel meiden. „Das Ende eines Artikels erreichen die wenigsten“, meint etwa der langjährige Leiter der Hamburger Journalistenschule Wolf Schneider. Nur die Ersten, eine Nachricht online stellten, würden auch beachtet.
Der Drang nach ständiger Aktualität treibt mitunter seltsame Blüten. Besonders populär sind derzeit allerlei „Liveticker“. Ob NSU-Prozess, Flug „MH 370“ oder die Krise in der Ukraine: Zu beinahe jedem Thema, zu dem es etwas zu berichten gibt, existiert mindestens ein Ticker. Und wenn es einmal nichts Neues gibt, wird trotzdem weitergetickert.
Die im Internet über allem stehenden Klickzahlen geben den Verlagen scheinbar recht: Dank des Livetickers zum Skiunfall des ehemaligen Formel-1-Rennfahrers Michael Schumacher schaffte es „Focus Online“ nach Berechnungen des Branchendienstes Meedia auf Platz 2 der am häufigsten aufgerufenen Nachrichtenseiten im Januar 2014. Damit erreichten die Münchner erstmals mehr Leser als „Spiegel Online“.
Tatsächlich dürften die Klickzahlen aber eher das Werk einer gezielten Suchmaschinenoptimierung (SEO) sein und weniger das echte Interesse der Leser nach Aktualität widerspiegeln. Da die Tickerseiten bei Google oder Bing auf den ersten Plätzen gelistet werden, klicken automatisch mehr potenzielle Leser die jeweilige Seite an. Ob sie dabei das finden, was sie auch suchten, erklären die Klickzahlen nicht.
Tatsächlich erwarten die Leser heute nicht nur abgeschriebene Pressemitteilungen und umformulierte Agenturberichte. Bei einer Umfrage des Journalisten Konrad Lischka auf Twitter gaben viele User an, dass sie vor allem gut recherchierte Artikel, Hintergründe und Zusammenhänge auf deutschen Online-Nachrichtenseiten vermissten. Oftmals wurde hinsichtlich der gewünschten Artikellänge der Vergleich mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ herangezogen. Zwar werden auf „Spiegel Online“ hin und wieder Artikel aus dem gedruckten Spiegel veröffentlicht, aber die meisten Storys stammen von einer eigenen Online-Schriftleitung, die unabhängig von der Print-Redaktion arbeitet.
Viele überregionale Zeitungsverlage sind der Meinung, dass das Internet keinen Platz für ausführliche Geschichten bietet. Sie befürchten, dass sie durch eine Online-Veröffentlichung nicht genug verdienen, um die Recherchekosten zu finanzieren. Hintergrundartikel und mehrseitige Reportagen sind deshalb ausschließlich in der gedruckten Tageszeitung zu finden. Wieso onlineaffine Leser dann aber plötzlich zur gedruckten Ausgabe einer Zeitung oder eines Magazins greifen sollten, um die gewünschten Hintergrundartikel zu lesen, bleibt ein Geheimnis der Verlage.
Tatsächlich sieht die Realität anders aus: Praktisch alle Printmedien verzeichnen einen starken Rückgang der Absatzzahlen. Sowohl „Der Spiegel“ als auch die „Bild-Zeitung“ büßten innerhalb der letzten zehn Jahre jeweils über ein Drittel der Auflage ein. Die meisten Leser greifen also nicht zum Druck-Erzeugnis, sondern suchen sich Online-Quellen, um die gewünschten Informationen zu erhalten. Das können Blogs sein, soziale Netzwerke oder eben ein Hintergrundmagazin wie „De Correspondent“.
Ob sich auch in Deutschland so ein solch unaufgeregter Journalismus im Internet behaupten kann, dürfte sich schon in den nächsten Wochen zeigen. Ähnlich wie Ron Wijnberg mit seinem „Correspondent“ haben 28 deutsche Journalisten das Projekt „Krautreporter“ gestartet. Bis zum 13. Juni wollen sie von mindestens 15.000 Unterstützern einen Mitgliedsbeitrag in Höhe von 60 Euro pro Jahr einnehmen, um die Online-Zeitschrift zu realisieren. Wie sein niederländisches Pendant soll der „Krautreporter“ sich auf Hintergrundberichte und Reportagen spezialisieren und auf Werbung komplett verzichten. Die erste Resonanz stimmt positiv: Nach nur 24 Stunden haben bereits knapp 2.000 Personen das Projekt unterstützt.