in unserer Serie: Das ABC der Artikelformen werden verschiedene Formen vorgestellt. Heute widmen wir uns dem Thema:
Wenn der Chefredakteur zum wiederholten Male fordert „lasst die Menschen sprechen“, dann heißt das nicht gleich, dass er an ein Interview denkt. Er wünscht sich damit, dass Reportagen angereichert werden mit Zitaten. Noch stärker am Menschen orientiert sind jedoch die journalistischen Stilformen des Interviews oder des Porträts, die in diesem Teil der Serie vorgestellt werden.
Ein klassisches Interview erkennt man an der Form. Baut sich der Artikel als klassisches Frage-Antwort-Spiel auf, so erkennt man das Interview auf den ersten Blick. Doch das ist nur die Hülle, denn im Grunde genommen steckt hinter jedem Interview ein Gespräch, indem präzise Fragen gestellt werden. Und um diese Fragen stellen zu können, bedarf es letztlich auch einer genauen Vorbereitung auf Gespräch und Person. Inhaltlich unterscheiden sich Interviews im Gespräch zu einem speziellen Thema, zur Meinung des Interviewten und zur Person selbst.
• Ein Themeninterview kann zum Beispiel an den Bürgermeister einer Kommune gerichtet sein. Er wird, in seiner Funktion als fachlich versierter Ansprechpartner, zur Zukunftsperspektive des Ortes als Wirtschaftsraum befragt.
• Ein Meinungsinterview kann sich, in Form einer Umfrage, an eine Person oder an viele Personen richten. Ein Umfragethema hat in aller Regel einen regionalen und zeitlichen Bezug. Gibt es aktuell im Ort Diskussionen um die Aufnahme von Asylbewerbern, so wird die Bevölkerung dazu nach kurzen Statements gefragt. Ein Meinungsinterview in Form einer Umfrage entsteht.
• In einem Personeninterview kommt der Journalist dem Interviewpartner am nahesten. Ziel ist es, in Fragen und Antworten die Persönlichkeit und den Charakter des Interviewpartners ebenso herauszuarbeiten wie dessen Meinung.
Wer bei einem Porträt zunächst einmal an das Porträtbild denkt, kommt dem Porträt als journalistische Gestaltungsform durchaus sehr nahe. Denn ein Porträt zu schreiben bedeutet auch, ein Bild des Interviewpartners zu zeichnen und darin nicht nur Worte wirken zu lassen, sondern auch Verhalten, Gestik, Mimik und Rhetorik zu beleuchten. Die Kunst des Porträtschreibens besteht darin, in Worten die Person zu beschreiben, ohne sie zu kommentieren.
Ein Porträt ist keine schicke Auflistung vom Werdegang des Interviewpartners, denn ein nachrichtliches Porträt ist vergleichsweise „kalt“ und kein klassisches journalistisches Porträt. Der Facettenreichtum fehlt. Dies ist oft der Tatsache geschuldet, dass keine Möglichkeit bestand, die zu porträtierende Person im Gespräch zu erleben – dann fehlen die Farben, die aus Gestik, Mimik, Rhetorik und Verhalten gemischt werden, auch im Text.
Stilistisch betrachtet gestaltet sich das Porträt oft ähnlich wie eine Reportage. Das heißt aber für den Journalisten auch, dass er neben seinem Gegenüber auch noch das Drumherum beobachten muss, um ein Bild der Szene anschließend in Worte kleiden zu können.
Sicherlich gibt es Interviews im World Wide Web, und sogar in mehreren Varianten. Neben Interviews in schriftlicher Form gibt es auch Hörbeiträge und Videos von Interviews. Und ohne die Journalistenzunft hochloben zu wollen, zeigt sich dennoch: Ein gut recherchiertes und fachlich versiertes Interview erkennt man am Stil und oft auch an der Quelle.
Viele Medienmacher (Online-Magazine, Radio- und Fernsehsender) stellen Interviews ins Netz, die allen Regeln der Interviewkunst folgen. Doch es gibt auch die andere Seite der Medaille. Die nämlich, in denen ein Interviewer einer anderen Person ein Mikrofon unter die Nase hält und im Netz anschließend ein Frage-Antwort-Ping-Pong ohne journalistischen Charakter zu finden ist.
Ähnlich verhält es sich beim Porträt. Ja, es gibt Porträts, die in der Online-Welt zu finden sind – und auch hier gibt es die, die die eingangs aufgezeigten Anforderungen erfüllen und die semi-professionellen Porträts in Schrift- oder Videoform. Warum? Weil Interview und Porträt nicht als Fachbegriffe geschützt sind und selbst das heute nicht mehr davor bewahren würde, den eigenen kritischen Blick auf die Medien zu richten, die im Internet kursieren.
Bereits im ersten, zweiten und dritten Teil der Serie: Das ABC der Artikelformen wurden verschiedene Formen vorgestellt. Heute widmen wir uns dem Thema:
Brandaktuell zu sein ist die eine Seite der Medaille. Das ist der Anspruch, den Tageszeitungen verfolgen – oder Newsportale in der Online-Welt. Doch was bleibt dann noch für die Print- und Online-Magazine übrig? Dasselbe Thema nochmal (aber eben viel zu spät) zu bringen, macht zumindest für die Leserzielgruppe keinen Sinn. Nun ist die Recherchefähigkeit des Journalisten gefragt, denn in einer Magazingeschichte beziehungsweise einem Hintergrundartikel werden all die Dinge beleuchtet, die in einem aktuellen Bericht, wenn überhaupt, nur angerissen würden.
Die H-10-Abstandsregelung des Windkraftgesetzes ist nun auch in Bayern angekommen. Fortan soll gelten, dass der Mindestabstand zwischen einer Windkraftanlage und dem nächsten Wohnhaus zehnmal so hoch ist wie die Anlage selbst. Gut, das ist beim Dauerbrenner-Thema Energiewende natürlich eine Meldung wert.
Doch nun steht die Magazin-Redaktion vor der Wahl: Soll sie das Thema verstreichen lassen oder aufgreifen? Sie entscheidet sich dazu, das Thema aufzugreifen. Nun wird recherchiert. Hintergrundinformationen sind gefragt!
Ist erst einmal alles zusammengetragen, müssen diese Informationen aufbereitet werden. Das geht ebenfalls auf zwei Wegen: en bloc oder in ansprechend verpackten Inhaltshäppchen. Neben einem großen Beitrag, in dem Verfechter und Gegner zu Wort kommen, gibt es eine ausführliche Tabelle zum aktuellen Bestand sowie zu den Planzahlen in puncto Windkraft. Der Bundeslandvergleich lässt sich grafisch in einer Karte umsetzen, die zeigt, wo es aktuell Abstandsregelungen gibt. Fachbegriffe werden im Glossar kurz erklärt.
Und fertig ist die Magazingeschichte für das Printformat, denn ein aktuelles Thema wurde von mehreren Seiten beleuchtet und mit Hintergrundinformationen aufgewertet. So bleibt der Anlass der Berichterstattung klar, denn das Thema ist und bleibt aktuell, aber der Hintergrundartikel bietet durch Zusatzinformationen einen attraktiven Mehrwert für die Leser.
Switchen wir in die Welt der URLs wird eines klar: Es gibt sie, die gut recherchierten Texte, nur der Online-Journalist kann es sich manchmal etwas einfacher machen, als sein Print-Pendant. Ein Glossar kann beispielsweise erstellt werden, aber es kann auch einfach ein Link auf ein verlässliches Online-Lexikon gesetzt werden. Dafür, dass der Online-Journalist an dieser Stelle weniger Recherchearbeit hat, bekommt er natürlich prompt eine andere Aufgabe auf den Tisch: Er kann und sollte auf Videos, weiterführende Artikel etc. verlinken – und die muss er erst suchen und prüfen.
Leider neigen gerade Online-Artikel dazu, durch Affiliate Marketing zu leiden. Denn wenn ein Artikel nur so von Links zu Amazon und Co. strotzt, wird es vergleichsweise schwierig, den wahren Informationsgehalt herauszufiltern. Ebenso verwässert wird guter Content auch durch eine zu stark geforderte Keywordoptimierung.
Das „Content ist King“-Schild an dieser Stelle hochzuhalten, ist nicht das Anliegen, doch ein Appell ist an dieser Stelle durchaus angebracht: Gute Texte werden gerne gelesen, weiterempfohlen, und der Leser kommt immer wieder. Daher sollte unter dem Damoklesschwert der Suchmaschinenoptimierung nicht der Inhalt leiden, denn gerade der Online-Journalismus bietet zahlreiche Möglichkeiten, die geforderten Hintergrundinformationen auf Knopfdruck zur Verfügung zu stellen.
Im Falle der H-10-Regelung wäre es zum Beispiel leicht möglich, auf das offizielle Gesetzespapier zu verlinken. Schön, wenn die Regelung selbst für Leser ohne Jurastudium in einfachen Worten erklärt wird, aber die Gesetzesfans werden den Verweis auf den Paragrafendschungel der Content-Aufbereitung als wahren Mehrwert schätzen.
Bereits im ersten und zweiten Teil der Serie: Das ABC der Artikelformen wurden verschiedene Formen vorgestellt. Heute widmen wir uns weiteren Artikelformen im Journalismus:
Jetzt wird es persönlich, denn während bei Meldung und Bericht noch über die Meinung anderer berichtet wurde, steht beim Kommentar, bei der Glosse und bei der Rezension die Meinung des Autors im Fokus.
Ein Kommentar ergänzt immer dann einen Beitrag, wenn er vom Autor eine Stellungnahme zum Thema inhaltlich einfordert. Wichtig ist, dass die Meinung des Journalisten mit Presseausweis auch von Interesse für die Leser ist. Zudem bedarf es gerade beim Kommentar eines Lektorats, bei dem der Text auf Verständlichkeit geprüft wird. Wichtig ist hier, dass der Text nicht nur redigiert wird, was jedem Text widerfahren sollte, sondern, dass es auch darauf ankommt, einen Kommentar verständlich zu schreiben. Gerade dann nämlich, wenn der Autor seiner vielleicht emotionalen Art freien Lauf lässt, können Gedankengänge verwirrend – und damit schwer nachvollziehbar – sein.
Neben dieser recht emotionalen Variante wird der Kommentar mit klassischen Argumenten im Gepäck immer dann geschrieben, wenn es darum geht, eine Meinung prominenter darzustellen. Am distanziertesten ist ein Kommentar, wenn er dazu dient, die unterschiedlichen Sichtweisen auf ein Thema aufzuzeigen. Die Kunst am Kommentar besteht darin, das richtige Maß an Informationsgehalt einfließen zu lassen, ohne dabei die kommentierende Wirkung zu verfehlen.
Wer glaubt, dass eine Glosse aufgrund der Leichtigkeit der Themen, die sie manchmal behandelt, auch leicht zu schreiben sei, der irrt. Denn eine Glosse zu verfassen, erfordert einen bunten Kessel an Schreibfähigkeiten, die nicht jeder Journalist gleichermaßen im Leistungsportfolio hat. Die Kunst der Glosse ist es, den Schwachpunkt des Themas zu erfassen und auf ironische Weise Salz in die soeben offen gelegte Wunde zu streuen. Ein Muss dabei ist die Pointe.
… und das, obgleich sie als Kritikform für künstlerische Darstellungsformen die Auseinandersetzung und Beurteilung des Themas stärker einfordert, als jede andere journalistische Darstellungsform. Dennoch gilt: Informieren und beurteilen ist erlaubt. Einen Verriss zu schreiben ist zwar vielleicht verlockend, aber weder zielführend noch von langer Erfolgsdauer für den Autor.
Vielmehr fordert der Auftrag, eine Kritik oder Rezension zu erstellen, den Journalisten zunächst dazu auf, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Ein Beispiel: Eine unbekannte Autorin bei der Lesung ihres ersten Buches anschließend verbal zu steinigen, zeugt nicht gerade vom Können des Journalisten. Geht er jedoch auf das Verhältnis der Kenntnisse der Autorin ein, und setzt diese in Relation zu dem Ergebnis, so sei ihm bescheinigt: Das ist der beste Ansatz, eine vertretbare Rezension zu erstellen.
Übrigens: Lobt der Journalist die Autorin dann haltlos über den berühmten Klee hinaus, ist die Rezension wahrscheinlich ebenso wertlos wie der Verriss. Maß und Ziel sowie ein argumentatives Fundament machen eine gute Rezension aus.
„False friends“ nannte man sie in der Schule. Damit wurden die Assoziationen zu einem Wort bezeichnet, die nur auf den ersten Blick zu einem anderen Wort verwandt waren, im Grunde genommen aber etwas anderes aussagten. Ähnliches passiert mit Kommentar und Kritik in der Online-Welt.
Einen Kommentar kann nämlich in der Regel jeder Leser verfassen. Er kommentiert damit ein journalistisches Werk oder öfter noch einen Beitrag eines Autors ohne journalistischen Hintergrund. Das hat nichts mit dem durchdachten Kommentar aus der Feder eines Journalisten zu tun – und verwischt in der Praxis zudem nur allzu oft die Grenze zur Werbung. Wenn nur noch Links in der virtuellen Welt hin- und hergeworfen werden, dann ist hier nicht mehr von journalistischen Kommentaren zu sprechen, auch wenn persönliche Meinungsäußerungen und Links in Felder mit der Überschrift „Kommentar“ geschrieben werden.
Rezensionen bzw. Kritiken finden sich in der Online-Welt auch – aber Achtung: Es gibt verkaufsfördernde, professionell geschriebene Kritiken und die „echten“ Rezensionen. Der Unterschied ist fließend und wer nun glaubt, dass die professionellen, in der Regel gekauften Kritiken, rein positiv gehalten sind, der irrt. Denn sie sind professionell – und haben daher auch den Anspruch, authentisch – also nicht durchweg positiv – zu sein.
Bereits im ersten Teil der Serie: Das ABC der Artikelformen wurden verschiedene Formen vorgestellt. Heute widmen wir uns weiteren Artikelformen im Journalismus.
Sie sind sich ähnlicher wie kaum eine andere journalistische Darstellungsform und doch so unterschiedlich. Die Rede ist von der Reportage und dem Feature. Sie ähneln sich, denn – sind sie gut geschrieben – sind sie mitreißend, lebendig und lassen den Leser der Geschichte mitfiebern. Doch sie unterscheiden sich auch, denn ein Feature geht in die Tiefe und setzt das behandelte Thema in einen weit größeren Zusammenhang als eine Reportage.
Die Reportage ist eine nahezu sinnliche Form des journalistischen Schreibens. Ein Journalist beschreibt nämlich nicht den belebten Ort, an dem er sich zu Recherchezwecken aufhält, sondern fühlt mit den Menschen. Ein Beispiel: Vielfach diskutiert wird immer wieder das Thema künstliche Befruchtung. Ist es nun ein unerlaubter Eingriff in die Natur? Ein medizinischer Sektor, in dem mit dem unerfüllten Kinderwunsch von Paaren Geld gemacht wird? Oder ist es der einzige Weg zum Glück für kinderlose Paare?
Natürlich soll nun nicht dieses hochbrisante Thema diskutiert werden, aber daran lässt sich zeigen, was eine Reportage ausmacht. Ein mutiger Reporter, der sich an die höchste journalistische Form heranwagt, wird sich auf die Suche nach einem betroffenen Paar machen – und deren Geschichte erzählen. So wird eine kleine Geschichte im medizinischen Zirkus der Reproduktionsmedizin beleuchtet. Emotional. Menschlich. Mitfühlend.
Übrigens: Wird neben der Geschichte des Paares, das bis zum erlösenden Bluttest begleitet wird, der statistische Background beleuchtet, die Behandlungsmethoden aufgezeigt und so ein analytischer Bogen gespannt, wird aus der Reportage ein Feature.
Allein schon aufgrund der umfangreichen Recherchen, die für eine stimmige Reportage nötig sind, kann diese journalistische Form niemals eine Meldung ersetzen, aber sie kann diese ergänzen. Der berühmte „Nachdreher“ eben, der so oft in der Redaktionssitzung der Lokalzeitung gefordert wird. Kein Wunder, wälzen doch findige Chefredakteure nicht umsonst die Mantelteile ihrer Zeitung, um aus einer klein verpackten Meldung eine ansprechende lokale Reportage zu stricken. Ein klares ja also für die Aktualität, die in den meisten Fällen immer auch ein Bestandteil der Reportage ist.
Details stehen darüber hinaus ganz oben auf der Liste der Dinge, die eine gute Reportage ausmachen. Um eine Reportage zu schreiben, muss der Schreibtischtäter wieder hinter dem Rechner hervorkommen und sich ins Recherchefeld begeben. Was sieht er? Liegen vielleicht nach dem Großbrand noch persönliche Gegenstände der ehemals im Haus wohnenden Menschen herum? Was riecht er? Steigt der Geruch von verbranntem Plastik beißend in seine Nase? Was hat der Nachbar gedacht, als die Feuerwehr ihn nachts aus dem Bett holte, weil das Feuer drohte, auf sein Haus überzugreifen? Und wie stand er dann vor den Flammen – im Pyjama?
All diese Details sind nötig, um ein authentisches Bild zu zeichnen, denn das ist – rein mit Worten – gar nicht so einfach umzusetzen. Nicht zuletzt deswegen gilt die Reportage als die künstlerischste Form des Artikels – denn jedes Wort muss punktgenau beschreiben und Emotionen vermitteln. Natürlich gehört dazu auch, Menschen zu Wort kommen zu lassen, denn eine Reportage lebt auch von den Statements der Betroffenen. Besonders der packende Artikelanfang und der nicht weniger wichtige Schlusssatz einer Reportage sind die wichtigsten Passagen des Artikels.
Das Feature beispielsweise fühlt sich im Rundfunk-Journalismus zu Hause. Kein Wunder, können hier mit Interviews, einem Erzähler und einem Sprecher für die Hintergrundinformationen all die zu übermittelnden Details ansprechend dargestellt werden. Auch die berühmten Fernsehdokumentationen, die unter der Bezeichnung „Reportage“ zu finden sind, sind oft eher ein Feature, denn nebst der Geschichte einer einzelnen Personen wird das Thema in einen globalen Zusammenhang gestellt.
Die Frage stellen sich Journalisten immer wieder: Ist beim Online-Journalismus die Aktualität eigentlich wichtiger als ein ausführlicher Artikel der auch die Hintergründe aufzeigt?
Der Niederländer Rob Wijnberg betreibt etwas, was nach Meinung der meisten deutschen Medienmacher überhaupt nicht funktionieren kann: Er ist Herausgeber der Online-Zeitschrift „De Correspondent“, die vor allem Reportagen, Kolumnen und Hintergrundberichte veröffentlicht. Auf tagesaktuelle Nachrichten wird komplett verzichtet. Mit diesem Konzept konnte er innerhalb einer Woche 15.000 Leser gewinnen und über eine Million Euro einnehmen.
Dabei lernt in Deutschland jeder Journalistenschüler, dass Leser im Internet vor allem auf Aktualität setzen und lange Hintergrundartikel meiden. „Das Ende eines Artikels erreichen die wenigsten“, meint etwa der langjährige Leiter der Hamburger Journalistenschule Wolf Schneider. Nur die Ersten, eine Nachricht online stellten, würden auch beachtet.
Der Drang nach ständiger Aktualität treibt mitunter seltsame Blüten. Besonders populär sind derzeit allerlei „Liveticker“. Ob NSU-Prozess, Flug „MH 370“ oder die Krise in der Ukraine: Zu beinahe jedem Thema, zu dem es etwas zu berichten gibt, existiert mindestens ein Ticker. Und wenn es einmal nichts Neues gibt, wird trotzdem weitergetickert.
Die im Internet über allem stehenden Klickzahlen geben den Verlagen scheinbar recht: Dank des Livetickers zum Skiunfall des ehemaligen Formel-1-Rennfahrers Michael Schumacher schaffte es „Focus Online“ nach Berechnungen des Branchendienstes Meedia auf Platz 2 der am häufigsten aufgerufenen Nachrichtenseiten im Januar 2014. Damit erreichten die Münchner erstmals mehr Leser als „Spiegel Online“.
Tatsächlich dürften die Klickzahlen aber eher das Werk einer gezielten Suchmaschinenoptimierung (SEO) sein und weniger das echte Interesse der Leser nach Aktualität widerspiegeln. Da die Tickerseiten bei Google oder Bing auf den ersten Plätzen gelistet werden, klicken automatisch mehr potenzielle Leser die jeweilige Seite an. Ob sie dabei das finden, was sie auch suchten, erklären die Klickzahlen nicht.
Tatsächlich erwarten die Leser heute nicht nur abgeschriebene Pressemitteilungen und umformulierte Agenturberichte. Bei einer Umfrage des Journalisten Konrad Lischka auf Twitter gaben viele User an, dass sie vor allem gut recherchierte Artikel, Hintergründe und Zusammenhänge auf deutschen Online-Nachrichtenseiten vermissten. Oftmals wurde hinsichtlich der gewünschten Artikellänge der Vergleich mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ herangezogen. Zwar werden auf „Spiegel Online“ hin und wieder Artikel aus dem gedruckten Spiegel veröffentlicht, aber die meisten Storys stammen von einer eigenen Online-Schriftleitung, die unabhängig von der Print-Redaktion arbeitet.
Viele überregionale Zeitungsverlage sind der Meinung, dass das Internet keinen Platz für ausführliche Geschichten bietet. Sie befürchten, dass sie durch eine Online-Veröffentlichung nicht genug verdienen, um die Recherchekosten zu finanzieren. Hintergrundartikel und mehrseitige Reportagen sind deshalb ausschließlich in der gedruckten Tageszeitung zu finden. Wieso onlineaffine Leser dann aber plötzlich zur gedruckten Ausgabe einer Zeitung oder eines Magazins greifen sollten, um die gewünschten Hintergrundartikel zu lesen, bleibt ein Geheimnis der Verlage.
Tatsächlich sieht die Realität anders aus: Praktisch alle Printmedien verzeichnen einen starken Rückgang der Absatzzahlen. Sowohl „Der Spiegel“ als auch die „Bild-Zeitung“ büßten innerhalb der letzten zehn Jahre jeweils über ein Drittel der Auflage ein. Die meisten Leser greifen also nicht zum Druck-Erzeugnis, sondern suchen sich Online-Quellen, um die gewünschten Informationen zu erhalten. Das können Blogs sein, soziale Netzwerke oder eben ein Hintergrundmagazin wie „De Correspondent“.
Ob sich auch in Deutschland so ein solch unaufgeregter Journalismus im Internet behaupten kann, dürfte sich schon in den nächsten Wochen zeigen. Ähnlich wie Ron Wijnberg mit seinem „Correspondent“ haben 28 deutsche Journalisten das Projekt „Krautreporter“ gestartet. Bis zum 13. Juni wollen sie von mindestens 15.000 Unterstützern einen Mitgliedsbeitrag in Höhe von 60 Euro pro Jahr einnehmen, um die Online-Zeitschrift zu realisieren. Wie sein niederländisches Pendant soll der „Krautreporter“ sich auf Hintergrundberichte und Reportagen spezialisieren und auf Werbung komplett verzichten. Die erste Resonanz stimmt positiv: Nach nur 24 Stunden haben bereits knapp 2.000 Personen das Projekt unterstützt.