Krisenkommunikation bzw. Krisen-PR bezeichnet die positive Außendarstellung gegenüber der Öffentlichkeit in Gefährdungssituationen. Es geht – zugespitzt formuliert – darum, selbst im Katastrophenfall (bei Pleiten, Skandalen und Unglücksfällen) als Institution oder verantwortliche Einzelperson noch einigermaßen gut dazustehen. Doch wie läuft das im Detail eigentlich ab?
Laut „Krisennavigator“ (einem Think-Tank der Universität Kiel) umfasst die Krisenkommunikation alle Maßnahmen zur Vermeidung, Früherkennung, Bewältigung und Nachbereitung von Krisensituationen im Rahmen von Kommunikationsstrategien.
Das bedeutet: Optimalerweise wird Krisenkommunikation permanent als „strategische Krisenkommunikation“, also zielgerichtet und konsequent betrieben. Das heißt nicht, dass innerhalb der hauseigenen PR-Abteilung, im Management oder gar unter der gesamten Belegschaft eine permanente Krisenstimmung „erzeugt“ würde. Vielmehr wird das Ziel verfolgt, nicht vollkommen unvorbereitet in Extremsituationen hineinzugeraten.
Angesichts der vielfältigen Fallkonstellationen, die sich zum Problem ausweiten können, erscheint eine gewisse Vorsorge durchaus sinnvoll. Allein unter den kritischen „unternehmensinternen Entwicklungen“ werden unterschiedlichste Ereignisse zusammengefasst — ob es nun Streiks sind, Massenentlassungen und Zahlungsschwierigkeiten oder Fehlentscheidungen im Management, Korruption, Betriebsunfälle oder Produktionsfehler. Hinzu kommen externe Bedrohungen – also alle Ereignisse, die durch sogenannte “höhere Gewalt” entstehen. Hierunter fallen beispielsweise Imageschäden durch Fehlverhalten anderer Unternehmen aus derselben Branche, gezielte Rufmordkampagnen der Konkurrenz oder Erpressungsversuche.
Eine zusätzliche Belastung entsteht durch die generell hohe Aufmerksamkeit von Medien und Öffentlichkeit. Sie wird durch das moderne Kommunikationsverhalten weiter verstärkt. Ungünstige Entwicklungen vollständig vor der Öffentlichkeit zu verbergen, ist heutzutage nur noch schwer möglich. Die (Verbraucher-)Öffentlichkeit ist bedeutend kritischer geworden und Medienunternehmen greifen negative Ereignisse gerne auf, um dieses Interesse zu bedienen und gleichzeitig ihre Umsätze zu steigern. Neben diesen können sich auch Einzelpersonen – wie etwa unzufriedene Mitarbeiter – dank Sozialer Medien mit brisanten Informationen relativ leicht Gehör verschaffen. Daher gilt:
Krisenprävention umfasst Schulungsmaßnahmen zum Umgang mit Krisensituationen, die Festlegung von Zuständigkeiten im Krisenfall und die Entwicklung von Leitfäden, um Krisen effektiv begegnen zu können.
Das bedeutet konkret: Bestandteil der „Krisenprävention“ ist zunächst der Aufbau eines festen Krisenstabes. Dessen Mitglieder wissen, was im Ernstfall zu tun ist und der Krisenstab kann auf eine verlässliche Infrastruktur zurückgreifen. Dazu gehören u.a. geeignete Räumlichkeiten, Rettungsgeräte sowie ausfallsichere und geschützte Kommunikationssysteme. Durch Schulungen, Planspiele etc. werden die Fähigkeiten der Stabsmitarbeiter regelmäßig aufgefrischt, vertieft und geprüft. Kompetenzlücken, die sich nicht durch Fortbildungen schließen lassen, erfordern gegebenenfalls auch das Anwerben neuer Mitarbeiter, die über das notwendige Profil verfügen oder eine dauerhafte Zusammenarbeit mit externen Krisen-PR-Experten.
Das „Krisenpersonal“ kann anschließend die Ausarbeitung von Handbüchern oder die Durchführung von Schulungen übernehmen, um der übrigen Belegschaft das notwendige Wissen für den Ernstfall zu vermitteln. Zu den Krisenaufgaben der Belegschaft zählt beispielsweise das schnelle Weiterleiten von Informationen an die Entscheidungsstellen oder die Beachtung von Sprachregelungen im Umgang mit unternehmensfremden Personen (insbesondere Journalisten, die unbedachte Äußerungen gerne aufgreifen).
Der hauseigenen PR-Abteilung kommt bei der Krisenkommunikation die zentrale Rolle zu. Leicht verständliche Krisenhandbücher formulieren, ein Bewusstsein für sinnvolle Krisenkommunikation schaffen, Überzeugungsarbeit leisten: Derartige Aufgaben übernehmen die PR-Spezialisten.
Bei Beginn einer Krise zahlt sich der Wert einer ordentlichen Vorbereitung in der Regel schnell aus. Insbesondere die ersten Kommunikationsmaßnahmen müssen schnell erfolgen, um Entschlossenheit zu signalisieren und die Öffentlichkeit (wahrheitsgemäß) über den Fortgang zu unterrichten oder ggf. zu warnen. Die zügige Vorgehensweise soll außerdem die Entwicklung von Gerüchten verhindern und einem Ausbreiten von Panik Einhalt gebieten. Das funktioniert reibungslos, wenn alle Beteiligten infolge intensiven Trainings wissen, was zu tun ist.
Bekannt ist, dass aus einem Krisenfall häufig Interessenkonflikte resultieren. Das geschieht zunächst innerhalb des betroffenen Unternehmens: Neben Schäden für Mensch und Umwelt wollen auch die Schäden für Bilanz und Image minimiert werden. Ein Interessenkonflikt entsteht aber auch gegenüber einer kritischen Öffentlichkeit: Sie verlangt nach Aufklärung und versucht, diese über investigative Medienarbeit zu erreichen.
Im Krisenfall besteht eine gewisse Versuchung, negative Tatsachen zu verschweigen. Individuelle Verantwortungsträger, die um ihre persönliche Zukunft fürchten, könnten im Extremfall ihr eigenes Wohlergehen über das der gesamten Organisation stellen. Die Praxis zeigt jedoch: Am Ende verliert oft das ganze Unternehmen — und der Job ist auch weg.
Sogar in einer Unternehmenskultur, wo anstelle von moralischen Überlegungen der blanke Opportunismus herrscht, ist es sinnvoll, bestimmte Verhaltensweisen trotzdem zu vermeiden: Das Leugnen unbestreitbarer Tatsachen, Abwiegelungsverhalten, ungehaltene Reaktionen auf Kritik oder arrogantes, anteilnahmsloses Auftreten werden in der Öffentlichkeit nie gerne gesehen – und während einer Krise schon gar nicht.
Es mag lapidar klingen, doch bietet eine überstandene Ausnahmesituation oftmals die Chance, gestärkt aus ihr hervorzugehen. Der Schlüssel dazu ist der ehrliche Wille zur Aufarbeitung, dem die systematische Evaluierung – sprich: das Stellen unangenehmer Fragen – folgt. Womit nahm die Situation ihren Anfang? Wo haben Technik und/oder Mitarbeiter (mangels Fachwissen, durch falsches Kommunikationsverhalten etc.) versagt? Welche Maßnahmen müssen im Hinblick auf die Zukunft nun getroffen werden?
In Bezug auf personelle Konsequenzen ist allerdings bei der Nachsorge Vorsicht geboten. Derartige Maßnahmen sollten gut begründet werden, um einen Neuanfang glaubhaft darzustellen. Denn ansonsten entsteht schnell der öffentliche Eindruck, es handle sich lediglich um „Bauernopfer“ – und das tatsächliche unternehmensübergreifende Problem sei noch längst nicht behoben. Solange nach Ansicht von Medien und Öffentlichkeit letzte Fragen offen bleiben, kann eine Krise kaum als ausgestanden gelten.
Die Nachsorge gehört deshalb zu den sensiblen, sorgfältig zu gestaltenden Bereichen in der strategischen Krisenkommunikation. Natürlich dient sie in erster Linie dazu, aus vergangenen Problemen zu lernen und sie in Zukunft zu vermeiden. Aber sie will auch selbst in vorteilhafter Weise öffentlich dargestellt werden, um verlorengegangenes Vertrauen wieder aufzubauen.
Ist es eine menschliche Ureigenart, voyeuristisch veranlagt zu sein und die Geschichten der Mitmenschen zu verschlingen, wie die Brotzeit am Mittag? Oder haben sich die Medienformen, die mithilfe von menschlichen Geschichten berichtet werden, erst im Rahmen pseudo-realistischer Dokusoaps entwickelt?
Ich kenne die Antwort nicht, aber gerne habe ich im Bereich „Storytelling“ recherchiert. Denn meine Fragen sollen heute sein: Was macht eine gute Story aus? Wie ergründet man, was die Leser interessiert? Wie schafft man einen Spannungsbogen mit Niveau?
Es erinnert ein wenig ans Kochen, denn eine gute Geschichte braucht viele Zutaten und ein ausgeklügeltes Rezept. In einer Story gibt es Figuren, die miteinander interagieren und mit- oder gegeneinander handeln. Was jetzt klingt wie Teilnahmebedingungen für einen Kurzgeschichten-Wettbewerb, ist ebenso im klassischen Journalismus gängige Praxis.
Im Journalismus geht es den Lesern darum, von Menschen zu lesen, die etwas erlebt oder durchlebt haben, die eine Vision haben oder für ein Ziel kämpfen, das sie gemeinsam oder in der Gruppe zu erreichen versuchen. Vorbei ist die Zeit, in der das Nonplusultra einer guten Geschichte das Zitat am Anfang ist. Das kann sein, muss es aber nicht.
„Storytelling“ fordert mehr. Es möchte Ungewöhnliches zu Tage fördern, möchte sprachliche sowie inhaltliche Spannungsbögen kreieren und dabei sich einer ganzen Bandbreite an Literarischem, Dramatischen und Sprachlichen bedienen. „Storytelling“ erinnert an die Reportage, doch ist sie auch Kunst. Die Kunst, dem Leser in Form eines Porträts oder eines Features die Geschichte miterleben zu lassen.
Interessant sind Geschichten von Menschen. Die Termine, auf die freie oder angestellte Journalisten pilgern, bleiben allerdings dieselben. Nur die Arbeit kann mit dem Arbeitsauftrag „Storytelling“ durchaus komplizierter und damit auch aufwendiger werden. Ein Praxisbeispiel: Eine Gemeinderatssitzung kann immer wieder interessante Details für die Bevölkerung bieten, wie beispielsweise die Gebührensatzung für den örtlichen Kindergarten. Der gängige Weg ist es, über die neuen Gebühren – im Vergleich zur vorangegangenen Satzung – zu berichten.
„Storytelling“ wäre hingegen mit Eltern zu sprechen, die Hintergründe zu beleuchten, warum die Gebühren erhöht wurden, und vielleicht beim Recherchieren herauszufinden, dass die Kindergärtnerin selbst höhere Gebühren bei der Kommune gefordert hat. Der Grund: Sie lebt in einem anderen Ort und zahlt für ihren eigenen Nachwuchs gut 50 Prozent mehr, als die Eltern für den Kindergarten zahlen, in dem sie arbeitet.
Der Sprung ins kalte Wasser hat sich bewährt. Das heißt: Am Anfang einer guten Geschichte steht bereits der erste Höhepunkt. Die wichtigen Hintergrundinformationen werden dann im nächsten Abschnitt nachgeliefert. Anschließend folgt der Spannungsbogen wieder einem Aufwärtstrend – mit Kurs auf den nächsten Höhepunkt.
An dieser Stelle ist wohl ein kurzer Exkurs zum Niveau von Spannungsbögen angebracht. Mord, Totschlag oder eine Intrige sind die Könige der Spannungsbögen – in der Yellow Press. Die Regenbogenpresse, oder auch Sensationspresse genannt, zielt hierbei auf die Gier der Menschen nach Tragödien ab. Niveau wird aber hier an manchen Stellen vergebens gesucht.
Tipp: Ein Spannungsbogen kann auch sprachlich erzeugt werden und muss nicht auf Kosten von Menschen gehen. Soll heißen: Wer die Kunst beherrscht, seine Leser mit ausgewählten Worten mit auf die Reise von Geschichtenhöhepunkt zu Geschichtenhöhepunkt zu nehmen und dabei weiß, wie und wann er welches Zitat zu positionieren hat, der hat „Storytelling“ begriffen und gelernt umzusetzen. Eine Geschichte muss nicht zwingend reißerisch sein, sondern kann auch einfach mit Worten fesseln.
Zu Beginn ein kleines Gedankenspiel. Stellen Sie sich vor, Sie stehen an der Spitze eines globalen Ölkonzerns. Wie aus heiterem Himmel explodiert eine Ihrer Bohrinseln.
Eine andere vergleichbare Ausgangslage wäre folgendes Exempel. Sie sind in der Position des Verteidigungsministers und haben Ihr Amt erst kürzlich übernommen. Sofort werden Sie mit Missständen konfrontiert, die schon seit langer Zeit im Raum stehen und nun allmählich an die Öffentlichkeit gelangen. Im Kern geht es um die Vernichtung von Millionen an Steuergeldern zur Finanzierung zweifelhafter Rüstungsprojekte, die bereits Ihre Vorgänger bewilligt haben und jetzt in Ihren Zuständigkeitsbereich fallen.
Die beschriebenen Konstellationen sind zweifellos ungünstig. Dennoch lässt sich auch solchen Situationen etwas Positives abgewinnen. Sie tragen zwar die Verantwortung, haben die Misere aber nicht aktiv herbeigeführt. Es wäre ebenso möglich, dass Sie sich als Manager des Ölunternehmens kurz zuvor für massive Einsparungen beim Sicherheitskonzept eingesetzt haben. Im zweiten Beispiel hätten Sie die unvorteilhaften Verträge mit der Rüstungsindustrie selbst abgeschlossen haben können.
Zurück zur ursprünglichen Fragestellung. Wie soll es jetzt weitergehen? Ihre Karriere ist akut bedroht.
Angesichts extremer Entwicklungen verfallen viele Menschen in eine Schockstarre und sind handlungsunfähig. Die Praxis zeigt, dass auch vermeintlich starke Menschen in Führungspositionen während einer Krise häufig den Kopf in den Sand stecken. Sie setzen darauf, dass sich die Wogen selbstständig wieder glätten werden.
In der Regel wird diese Vorstellung allerdings nicht real, das Gegenteil ist eher der Fall. Sobald ein Verdacht im Raum steht, beginnen detaillierte Nachforschungen. Das trägt nicht zur Verbesserung Ihrer Lage bei. Letztlich stehen Sie immer in einem Abhängigkeitsverhältnis zu der Person, die Sie zu Beginn eingestellt hat und damit auch die Verantwortung für Ihr Handeln trägt. Sobald der Verantwortliche seine eigene Karriere gefährdet sieht, wird er die nötigen Konsequenzen ziehen und Ihr Arbeitsverhältnis beenden.
Stilles Verharren stellt aufgrund dessen keine Option dar. Von einer Person, die eine leitende Stellung innehat, wird erwartet, dass sie den Handlungsbedarf erkennt und dementsprechend reagiert.
Dabei sind Sie nicht auf sich alleine gestellt. Durch Ihre Führungsposition haben Sie Zugriff auf eine Vielzahl an Ressourcen. Daneben ergibt sich durch die Kenntnis aller notwendigen Informationen ein weiterer Vorteil. Insofern noch nicht alle Fakten an die Öffentlichkeit gelangt sind, können Sie diese dazu nutzen, den Schaden einzudämmen. Selbstverständlich muss bei der Planung der Handlungsstrategie darauf geachtet werden, dass sensible Berichte jederzeit auch nach außen dringen können.
Diese beiden Punkte können Sie für das weitere Vorgehen nutzen. Es bietet sich die Möglichkeit an, einen Berater zu konsultieren, der auf diese Problematiken spezialisiert ist. Er unterstützt Sie bei jeglicher Kommunikation mit der Öffentlichkeit, sodass Sie Ihrem Ansehen durch mangelnde Rhetorik und fehlende Erfahrung nicht weiter schaden.
Krisenmanagement – professionelle Beratung und aktive Hilfe
Das Institut für Krisennavigation (eine Forschungseinrichtung der Universität Kiel) definiert Krisen allgemein als „interne oder externe Ereignisse, durch die akute Gefahren für Lebewesen, für die Umwelt, für die Vermögenswerte oder für die Reputation eines Unternehmens bzw. einer Institution drohen.“
In der Praxis treten häufig alle Vorkommnisse in Kombination ein. So zum Beispiel während des Reaktorunglücks von Fukushima. Ein Tsunami (externes Ereignis) trifft auf ein Atomkraftwerk. Das Sicherheitskonzept des Werks erweist sich in der Folge als untauglich (internes Ereignis) und ein Reaktorblock wird zerstört. Gefährliche Strahlung gelangt nach außen und macht die Umgebung auf lange Zeit unbewohnbar (Gefahr für Lebewesen und Umwelt). Das Image der Betreiberfirma Tepco wird nachhaltig geschädigt und die verursachten Kosten des Unglücks gehen in die Milliarden.
Die Kieler Navigatoren teilen Krisen basierend auf ihrem Schwerpunkt in drei Gruppen ein:
Krisenkommunikation hat demnach sichtbar viele Dimensionen. Angesichts dessen, was oftmals auf dem Spiel steht, ist geeignetes Personal in dieser Branche sehr begehrt. Spezialisten finden sich unter anderem an Instituten, wie zum Beispiel jenem in Kiel. Auf der Grundlage umfangreicher Datensammlungen zu vergangenen Krisen werden Empfehlungen und Lösungsansätze für die Zukunft entwickelt. Im Notfall wird auch eine direkte Unterstützung angeboten. Dies geschieht in Form von Gutachten, die auf Meinungsumfragen gestützt sind. Die aktive Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen gehört in der Regel allerdings nicht zur Offerte solcher Einrichtungen.
Deutlich praxisnaher agieren dagegen professionelle PR-Agenturen. Sie haben einen umfangreichen Maßnahmenkatalog im Angebot, der praktische Hinweise und auch aktive Hilfe beinhaltet. Dazu zählen beispielsweise Schulungen, in denen der Kunde den korrekten Umgang mit kritischen Pressevertretern erlernt. Weiterhin besteht die Möglichkeit, durch eine PR-Fachkraft während einer akuten Krisensituation aktiv unterstützt zu werden. Meist hat die professionelle Beratung durch eine solche Agentur einen stolzen Preis. Meistert man ein Dilemma mithilfe eines Fachmanns erfolgreich, hat sich diese Investition allerdings mehr als bezahlt gemacht.
Das Internet hat sich in den vergangenen Jahren einen festen Platz in vielen Alltagsbereichen erkämpft. Diese Etablierung interaktiver digitaler Medien wirkt sich zunehmend auch auf politischer Ebene aus. Viele Beobachter und Analysten meinen, im Internet einen Faktor erkannt zu haben, der maßgeblichen Einfluss auf die Stärkung einer verbesserten demokratischen Grundstruktur haben könnte. Vor allem dem “social web” wird im Hinblick auf die Möglichkeit der politischen Beteiligung großes Gewicht beigemessen.
Skeptiker führen dagegen ins Feld, hinter der angeblichen Demokratisierung bzw. digitalen Demokratie stecke letztlich nur das Bestreben einiger weniger Personen, mehr Kontrolle zu erlangen. Die Datensammelwut und fehlende Transparenz seien eindeutige Indizien für diese Annahme. Die sog. “E-Demokratie”, also die elektronische oder digitale Demokratie, erfordere für ihr Funktionieren neben Partizipation der Bürger nämlich vor allem transparentes Regierungshandeln.
Ob das Internet nun tatsächlich eine demokratisierende Wirkung ausübt wird letztlich vor allem davon abhängen, wie dieses Medium im Rahmen des politischen Handelns genutzt wird und ob dabei zu erkennen ist, dass Prozesse der Teilhabe tatsächlich stattfinden und eine Wirkung entfalten.
Einleitend kann man sicherlich feststellen, dass die Etablierung digitaler Medien in den letzten Jahren vor allem auf die Absenkung der technischen Hürden zurückzuführen ist. Smartphones und Tablets erlauben es mittlerweile auch weniger technikaffinen Menschen, ihre Positionen im Internet zu präsentieren und mit anderen darüber ins Gespräch zu kommen. Gleichzeitig gestattet es die Fülle an verfügbaren Informationen dem Einzelnen, sich ein sehr detailliertes Bild von Sachverhalten und Problemstellungen zu machen. In der Folge scheint es vielen Internetusern leichter zu fallen, sich zu bestimmten politischen Fragen zu positionieren, diese Position in irgendeiner Form (Internetblog, Forum, soziale Medien) zu kommunizieren und auf diese Weise den gesellschaftlichen Dialog zu beleben.
Das Internet hat in der Form von Transparenzportalen zudem eine völlig neue Form des kritischen Hinterfragens von parlamentarischer Arbeit ermöglicht. Hintergrund dieser Portale ist die eingangs genannte These, dass Demokratie nicht ohne ein Mindestmaß an Transparenz beziehungsweise Nachvollziehbarkeit staatlichen Handelns funktionieren kann. Die gewonnenen Erkenntnisse werden dabei in vielen Fällen so aufbereitet, dass sie den allermeisten Besuchern der Portale auch ohne eine intensive Auseinandersetzung mit komplexen politischen Prozessen zugänglich sind.
Das Potenzial der Möglichkeit, Menschen via Internet an politischen Prozessen zu beteiligen, ist in Deutschland mittlerweile auch von staatlicher Seite erkannt worden. Sowohl Bund als auch Länder sind momentan im Begriff, ihre digitale Präsenz auszubauen, um auf diese Weise zum einen das Verwaltungshandeln zu erleichtern und zum anderen eine völlig neue Kommunikationskultur mit dem Bürger zu schaffen. Rein altruistisch ist diese Vorgehensweise freilich nicht. Offenbar hat man erkannt, dass mit dem Einbeziehen einer möglichst großen Zahl von Partizipanten eine größere Dynamik im Hinblick auf die Gewinnung von Informationen und Ideen einhergeht. Und natürlich soll E-Government auch zu Kosteneinsparungen führen.
Glücklicherweise hat sich auch bei der Frage nach dem gleichberechtigten Zugang zum Internet für alle in der jüngsten Vergangenheit viel getan, so dass die überwiegende Mehrheit der Bürger auch tatsächlich von dieser Entwicklung profitieren kann.
Ob die Ausdehnung der Beziehung zwischen Bürger und Staat auf die digitale Sphäre ein probates Mittel gegen die Skepsis ist, die viele der Politik gegenüber entwickelt haben, bleibt abzuwarten. Tatsache ist jedenfalls, dass das Internet die Möglichkeiten der politischen Beteiligung in erheblichem Ausmaß erweitert hat. Aus staatlicher Sicht kann eine verbesserte Dialogfähigkeit mit den Bürgern unter anderem die verstärkte Legitimation politischer Entscheidungen bedeuten. Aus Sicht des Bürgers wird es zukünftig vor allem darauf ankommen, ob die Ergebnisse, die am Ende eines wie auch immer gearteten Kommunikationsprozesses stehen, auch tatsächlich zumindest teilweise verbindlich sind. Denn ohne konkrete Resultate wird man die Sinnhaftigkeit eines verbesserten Dialogprozesses schnell in Frage stellen. Es bleibt zu hoffen, dass die Chancen genutzt werden und man irgendwann rückblickend resümieren kann, das Internet habe mitsamt seiner zahlreichen Partizipationsmöglichkeiten eine völlig neue Form des demokratischen Selbstverständnisses geschaffen.
Wenn man sich einmal in der Branche umsieht, dann könnte man meinen, dass sich der Journalismus gerade neu erfindet. Denn während sich viele junge Journalistinnen und Journalisten die Frage stellen, welche Zukunft sie in ihrem Job wohl erwartet, eröffnen sich abseits des traditionellen Journalismus zahlreiche Wege, die noch vor wenigen Jahren kaum denkbar schienen.
Die Medien verändern sich und mit ihnen der journalistische Alltag, dessen neuartige Arbeitsabläufe auch das Berufsbild des Journalisten verändern. Der Weg über den klassischen Artikel ist oftmals zu behäbig und zwingt viele Journalisten zum formloseren “Bloggen”. Auch selbst wird oft ein eigener Blog betrieben, die freie Software WordPress und fundierte Anleitungen zur Installation von WordPress machen es möglich. Das digitale Zeitalter verändert den Journalismus und wirft oftmals auch die herausfordernde Frage nach dem Verhältnis von Qualität und Quantität auf.
Dieser Herausforderung sollen und müssen sich Journalisten stellen, denn schließlich steht die digitale Revolution nicht nur für einige zusätzliche Stressfaktoren, sondern vor allem auch für das größte Publikum der Menschheitsgeschichte. Niemals zuvor hatten journalistische Inhalte eine größere Reichweite. Mit der Größe der Leserschaft ist gleichzeitig das Bedürfnis nach gutem, seriösem und aufklärendem Journalismus gewachsen.
Und damit ist eines klar: Auch im digitalen Zeitalter mit seinen raffinierten Möglichkeiten sind Journalisten keineswegs von den klassischen Methoden journalistischer Recherchearbeit entbunden. Internet und E-Mail können das persönliche Gespräch mit Informationsquellen nicht ersetzen. Und eine gründliche Dokumentation erst recht nicht.
Was aber macht guten Journalismus abseits dieser formalen Kriterien aus und kann man überhaupt objektive Bewertungskriterien entwickeln? Eines ist jedenfalls sicher – Journalisten müssen, wenn sie gut sein wollen, dorthin gehen, wo bisher noch niemand war. Sie müssen Pioniere und vor allem festen Willens sein, unbeirrbar weiter zu machen, egal wie viele Steine ihnen plötzlich im Weg liegen. Denn auch wenn der Satz „Qualität kommt von Qual“ bereits ganz schön abgegriffen ist, so ist er doch vollkommen richtig. Für belanglosen Journalismus und Artikel, die man morgen schon wieder vergessen hat, muss man sich nicht quälen. Für guten Journalismus schon. Dafür wird der Journalist sein Bestes und vor allem etwas in die Waagschale werfen müssen, das eigentlich keiner hat – viel Zeit. Abgesehen davon, dass sich fast alle gängigen Organisationsstrukturen und mit ihnen u. a. auch das Redaktionsmanagement verändert haben, bleibt es prinzipiell bei den zeitaufwändigeren Darstellungsformen, die sich für Journalisten bewährt haben: Der Reportage, dem Hintergrundartikel, dem Kommentar oder dem Interview.
Eine der wertvollsten Errungenschaften der westlichen Welt und gleichzeitig eine der wichtigsten Säulen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist die Pressefreiheit. Qualitätsjournalismus ist die höchste Form der Wahrnehmung dieses Grundrechts. Denn er zeigt, dass man verstanden hat, welch vornehme journalistische Aufgabe mit der Pressefreiheit einhergeht. Wenn Journalisten dieser Aufgabe nicht mehr nachkommen können – oder schlimmer – nicht nachkommen wollen, dann ist die Pressefreiheit nichts weiter als ein zahnloser Tiger bzw. ein Relikt, das man zwar ob seiner Schönheit bestaunen kann, das aber eben doch nur ein Relikt ist. Die Forderung nach einem größeren Angebot von gutem Journalismus unterstreicht damit zugleich das Bestreben, dem Verflachen redaktioneller Arbeit durch zu großen Renditedruck entgegenzuwirken. Wenn Journalisten nur noch Massencontent als Füllmaterial für Zeitungs- oder Internetseiten produzieren, wozu braucht es dann noch eine grundrechtlich garantierte Pressefreiheit?
Viele Journalisten würden auf die Frage nach einem wesentlichen Merkmal für guten Journalismus wahrscheinlich mit dem Hinweis auf Unabhängigkeit bzw. Überparteilichkeit antworten. Und damit hätten sie natürlich Recht – ein guter Journalist sollte sich im Idealfall als neutraler Informationsvermittler verstehen.
Was aber, wenn der Druck zunimmt? Wenn die eigene wirtschaftliche Situation bedrohlich wird? Wenn es Gegenwind von Kolleginnen und Kollegen gibt? Wenn die politischen Verhältnisse kippen und man mit seiner Arbeit plötzlich auf ziemlich viele bedeutsame Zehen treten könnte?
Dann zeigt sich, dass man das Wichtigste verstanden hat, das es über guten Journalismus zu verstehen gibt: Man lässt sich auf keinen Fall einschüchtern! Mutet das im wohlbehüteten Westen, wo vielleicht einmal im Konfliktfall eine berufliche Repression hingenommen werden muss, noch relativ unspektakulär an, gewinnt das Gewahrwerden dieser journalistischen Kernkompetenz in Ländern, in denen unliebsame Berichterstatter den Besuch von Killerschwadronen fürchten müssen, eine ganz andere Dimension.
Jeder kann sich an große Stunden des Journalismus erinnern. Zumeist waren das die Zeiten, in denen Skandale aufgedeckt wurden, an die sich heute noch jeder erinnern kann. In diesen Zeiten hat der Journalismus das geleistet, was von ihm verlangt werden darf: Er ist im Rahmen seiner grundgesetzlich verankerten Pressefreiheit den Mächtigen gefährlich geworden, hat entdeckt, enthüllt, aufgeklärt. Aber das sind nur vorübergehende punktuelle Highlights. Guten Journalismus brauchen wir auch dann, wenn es gerade keinen Steuer- oder Spendenskandal zu enthüllen gibt. Die Medien sollten ihn sich leisten, denn er ist das Beste, was aus der Pressefreiheit erwachsen kann. Und er wird sich auf Dauer durchsetzen.
Julian Reichelt war stinksauer auf Daniel Steil. Was er macht, sei nichts anderes als »digitale Hehlerei«, echauffierte sich der Chefredakteur von Bild.de am 4. Juni 2014 über dessen »Focus Online«-Kollegen bei turi2. Was war da geschehen?
Reichelt ist als Chefredakteur von Bild.de maßgeblich für die Umsetzung der von Konzernchef Mathias Döpfner vorgegebenen Digitalstrategie verantwortlich. Wichtiges Standbein dabei ist auch »Bild Plus«, die Bezahlschranke der größten Boulevardzeitung Deutschlands. Bei »Bild Plus« sollen exklusive Geschichten veröffentlicht werden, die nur gegen Bezahlung verfügbar sind.
Und hier fing Reichelts Problem an: Daniel Steil, seit 2011 Chefredakteur von »Focus Online«, hatte nämlich offenbar für einen solchen Zugang bezahlt. Und den nutzte er nicht nur für sich, sondern ließ seine Redakteure die eigentlich exklusiven »Bild Plus«-Geschichten umformulieren und auf der Website des zu Burda gehörenden Wochenmagazins veröffentlichen. So konnte sie dann jeder auf »Focus Online« lesen, ohne dass die »Bild« daran verdiente. Später stellte Julian Reichelt zufrieden fest, dass »Focus Online unsere Plus-Inhalte nicht mehr komplett ausschlachtet, sondern nur noch unsere Nachrichten, die wir hinter der Paywall haben, sauber zitiert.« Das sei auch völlig in Ordnung und üblich.
Früher, als es noch echte Leitmedien gab, waren die Zeitungen und Verlage froh darüber, wenn sie von der Konkurrenz zitiert wurden. »Der Spiegel« veröffentlicht noch Vorabmeldungen zu einzelnen im neuen Heft erscheinenden Geschichten. Einziges Ziel dabei ist, dass möglichst viele Konkurrenzpublikationen das eigene Blatt zitieren, was zu einer höheren Relevanz führt.
Doch im digitalen Medienzeitalter wirken Leitmedien wie ein Relikt aus der Vergangenheit. Der Begriff wurde ursprünglich auch nur für klassische Printmedien verwendet. Nach der Definition des Medienwissenschaftlers Jürgen Wilke sind Leitmedien die Presseerzeugnisse, die von Journalisten bei der Recherche besonders häufig herangezogen und zitiert werden. Für das Jahr 1993 ermittelte er durch eine Umfrage unter Journalisten eine Reihenfolge der am meisten zitierten Medien. Das Ergebnis war wenig überraschend: Sowohl die »Süddeutsche Zeitung« als auch die »FAZ« und die »Zeit« landeten auf den oberen Plätzen. Unangefochten an der Spitze stand damals »Der Spiegel«. Über zwei Drittel der befragten Journalisten gaben an, das Nachrichtenmagazin regelmäßig zur Recherche zu nutzen.
Als die Umfrage 2004 wiederholt wurde, waren die Ergebnisse dieselben. Zwar zeichnete sich ab, dass immer mehr Journalisten vor allem im Internet recherchieren, aber um »Spiegel«, SZ oder FAZ kam auch damals niemand herum.
10 Jahre später führt ein anderes Medium die Liste an. Nach einer Auswertung der PR-Agentur »Scholz & Friends Agenda« und »PMG Presse-Monitor« wird die »Bild«-Zeitung heute am häufigsten zitiert. Und das nicht etwa im Panorama- oder Vermischtes-Resort, sondern in den wichtigen Bereichen Politik und Wirtschaft. Ernst Elitz spricht daher im Magazin »The European« auch davon, dass die »Bild«-Zeitung das neue Leitmedium Deutschlands sei. Und wie er findet vollkommen zu Recht: Die Boulevardzeitung sei heutzutage in allen führenden Redaktionen Deutschlands morgendliche Pflichtlektüre. Für ihre Recherchen zum Skandal um Alt-Bundespräsident Christian Wulff sei sie sogar mit dem renommierten Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet worden.
Während also bei den klassischen Printmedien die Anzahl der Zitate mit dafür ausschlaggebend ist, wie wichtig andere Medienmacher eine Zeitung oder Zeitschrift einordnen, scheinen im Onlinezeitalter andere Gesetze zu gelten. Julian Reichelt war nämlich überhaupt nicht froh darüber, dass »Focus Online« seine »Bild Plus«-Geschichten übernahm. Er warf seinem Kollegen Daniel Steil sogar offen Diebstahl geistigen Eigentums vor. Auf Nachfrage erklärte Reichelt zwar, dass das Verhalten Steils juristisch nicht angreifbar sei, aber »klauen« würde Steil trotzdem: »Natürlich macht er genau das und nichts anderes. Klauen, klauen, klauen und an die Reichweite denken.«
Reichweite ist heute das, was Onlinemedien voneinander unterscheidet. Während die »Bild« noch auf eine Bezahlschranke setzt, versucht es »Focus Online« mit klassischer Werbung. Um aber möglichst viele Anzeigenkunden zu gewinnen, wird eine hohe Reichweite benötigt. Julian Reichelt äußerte gegenüber dem Branchendienst turi2, dass »Focus Online« hierzu eine »Google-Optimierung« vornehme. Hierdurch lande ein User, wenn er nach einem bestimmten Thema suche, zuerst bei Focus.de und nicht bei Bild.de. Belege dafür, dass »Focus Online« tatsächlich eine solche Suchmaschinenoptimierung durchführt, gab Reichelt aber nicht an. In der Tat kann »Focus Online« aber auf einige Reichweitenerfolge verweisen. Im Januar 2014 hatte die Website nach den Zahlen der »Arbeitsgemeinschaft Online Forschung« (AGOF) erstmals mehr Besucher als »Spiegel Online«. Lediglich das Online-Angebot der »Bild«-Zeitung liegt noch vor den Münchnern. Der Geschäftsführer von »Tomorrow Focus Media«, Oliver Eckert, führte dies aber auf die gute Arbeit von »Focus Online« in den sozialen Netzwerken zurück. Auf Facebook hätten die verschiedenen »Focus«-Seiten zu Themen aus Politik, Wirtschaft und Sport bereits über 1,5 Millionen Fans. Zudem sei Qualität und Tempo der Berichterstattung für den Erfolg von »Focus Online« verantwortlich. Inzwischen dankte »Focus Online« seinen zwei Millionen Fans.
Und so dürfte sich in Zukunft das Bild der Leitmedien erneut ändern. Wichtig wird nicht mehr nur die Verbreitung sein, sondern auch, ob ein Artikel bei der ständig ansteigenden Informationsflut überhaupt gefunden werden kann. Das von »Focus Online« praktizierte Verlinken auf fremde Beiträge hilft dabei dem Ausgangsmedium, eine bessere Platzierung bei den Suchmaschinen zu erzielen. Einzige Voraussetzung hierfür ist freilich, dass die Inhalte auch tatsächlich frei verfügbar und nicht hinter einer Paywall versteckt sind. Vielleicht wird irgendwann dann auch Julian Reichelt weniger sauer auf seinen Ex-Kollegen Daniel Steil sein, sondern vielmehr stolz auf das neue Leitmedium »Bild«.
Bereits vor beinahe zehn Jahren unkte die Direktorin der Journalism School / University of Southern California, Geneva Overholser, dass “Journalismus, wie wir ihn kennen, ist vorbei”. Gemünzt hatte sie diese Aussage auf den Zeitungsjournalismus, der bereits Jahre vor der Banken- und Finanzkrise in einer eindeutigen Absatzkrise steckte. Beinahe die Hälfte der amerikanischen Zeitungen erwirtschaftete zu diesem Zeitpunkt keine Gewinne mehr, sondern schrieb rote Zahlen.
Die Gewohnheiten der Menschen haben sich geändert. Die Zeitung zum Frühstück ist längst nicht mehr das klassische Modell, auch wenn jüngste Umfragen belegen, dass Schüler in Deutschland im Medium Zeitung nach wie vor ein großes Potenzial für wertvolle Orientierungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten zu sehen scheinen. Dennoch haben insbesondere beim jüngeren Publikum die elektronischen Informationsmedien der Tageszeitung den Rang zu einem guten Stück abgelaufen. Ist das als Hinweis darauf zu werten, dass das Internet seine Sache besser macht?
Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, schrieb in einem Grundlagenartikel einmal, dass man guten Journalismus inzwischen primär dafür brauche, um Nachrichten einzuordnen, nicht um sie zu verbreiten. Im Hinblick auf die Verbreitung habe das Internet klar die Nase vorn. Guter Journalismus in dem Sinne, wie er sich auf ihn bezieht, sei daher im Grunde unabhängig vom Medium und könne sowohl gedruckt als auch online betrieben werden. Der Zeitungsjournalismus wäre aufgrund seiner Ausführungen also weniger wegen der Konkurrenz durch das Internet, als vielmehr wegen der Verbreitung unrelevanter bzw. uninteressanter Inhalte in der Krise.
Wie auch immer, viele Zeitungsjournalisten sind inzwischen dazu übergegangen, das eigene Produkt schlecht zu reden bzw. zu schreiben und in einer Art morbider Lust vom eigenen Ende zu orakeln. Die eingangs gemachten Ausführungen zur Lage auf dem US-Zeitungsmarkt war für viele deutschsprachige Publizisten eine vielleicht nicht willkommene, aber dennoch lustvoll genutzte Vorlage, um aufgeregt auf die sich bereits realisierte Ansteckungsgefahr hinzuweisen. Dabei wäre eine gründliche Ursachenforschung weitaus konstruktiver.
Zeitungen sind seit jeher bemüht die zeitliche Distanz zwischen einem bestimmten Ereignis, welches einer Berichterstattung wert ist, und der Veröffentlichung in der eigenen Publikation auf ein Minimum zu verkleinern. Das ist ihnen durch ein gut ausgebautes Netz von Korrespondenten und Nachrichtenquellen und die Nutzung modernster Kommunikationswege weitestgehend gelungen. Aber im Wettbewerb mit dem Internet steht man in dieser Hinsicht auf verlorenem Posten. Während die Zeitung ihre Leser im Regelfall am nächsten Morgen über wichtige Ereignisse des Vortags informiert, schafft es das Internet mittlerweile beinahe in Echtzeit. Diese Schwäche muss den Zeitungen bewusst sein, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, einen aussichtslosen Kampf zu kämpfen.
Denn eine wirkliche Ergänzung von Zeitungs- und Onlinejournalismus kann nur dann statt finden, wenn man sich auf seine spezifischen Stärken besinnt. Da es beim Zeitungsjournalismus nicht die Geschwindigkeit ist, muss es etwas anderes sein. Etwas, das in der Rasanz der Internet-Berichterstattung zumeist auf der Strecke bleibt: Analytischer Tiefgang, gründliche Hintergrundbeleuchtung, kritische Kommentierung. Auf diese Weise, also durch die Auswertung und Bewertung von Informationen, kann die Zeitung unter Beweis stellen, dass sie gegenüber dem Medium Internet einen unbestreitbaren USP besitzt, mit dem sie sich gegenüber diesem abgrenzt und abhebt.
Im Grunde hat das Internet dem Journalismus einen Gefallen getan, denn es hat dazu beigetragen, den Wert von gutem Journalismus heraus zu stellen. Der macht sich nämlich nicht durch ein Überangebot von schnell verfügbaren Informationen bemerkbar. Zeitungen, die das verstanden haben, werden eine ausreichend große Leserschaft haben und überleben. Denn sie werden ihren Lesern eine unerlässliche Hilfe zum Verständnis vieler Vorgänge sein, die in unserer globalisierten Welt einer klugen und detaillierten Analyse bedürfen. Wenn eine Zeitung ihren Lesern das ist, dann hat sie damit einen Status erreicht, von dem das World Wide Web wahrscheinlich noch in Jahren träumen wird.
in unserer Serie: Das ABC der Artikelformen werden verschiedene Formen vorgestellt. Heute widmen wir uns dem Thema:
Wenn der Chefredakteur zum wiederholten Male fordert „lasst die Menschen sprechen“, dann heißt das nicht gleich, dass er an ein Interview denkt. Er wünscht sich damit, dass Reportagen angereichert werden mit Zitaten. Noch stärker am Menschen orientiert sind jedoch die journalistischen Stilformen des Interviews oder des Porträts, die in diesem Teil der Serie vorgestellt werden.
Ein klassisches Interview erkennt man an der Form. Baut sich der Artikel als klassisches Frage-Antwort-Spiel auf, so erkennt man das Interview auf den ersten Blick. Doch das ist nur die Hülle, denn im Grunde genommen steckt hinter jedem Interview ein Gespräch, indem präzise Fragen gestellt werden. Und um diese Fragen stellen zu können, bedarf es letztlich auch einer genauen Vorbereitung auf Gespräch und Person. Inhaltlich unterscheiden sich Interviews im Gespräch zu einem speziellen Thema, zur Meinung des Interviewten und zur Person selbst.
• Ein Themeninterview kann zum Beispiel an den Bürgermeister einer Kommune gerichtet sein. Er wird, in seiner Funktion als fachlich versierter Ansprechpartner, zur Zukunftsperspektive des Ortes als Wirtschaftsraum befragt.
• Ein Meinungsinterview kann sich, in Form einer Umfrage, an eine Person oder an viele Personen richten. Ein Umfragethema hat in aller Regel einen regionalen und zeitlichen Bezug. Gibt es aktuell im Ort Diskussionen um die Aufnahme von Asylbewerbern, so wird die Bevölkerung dazu nach kurzen Statements gefragt. Ein Meinungsinterview in Form einer Umfrage entsteht.
• In einem Personeninterview kommt der Journalist dem Interviewpartner am nahesten. Ziel ist es, in Fragen und Antworten die Persönlichkeit und den Charakter des Interviewpartners ebenso herauszuarbeiten wie dessen Meinung.
Wer bei einem Porträt zunächst einmal an das Porträtbild denkt, kommt dem Porträt als journalistische Gestaltungsform durchaus sehr nahe. Denn ein Porträt zu schreiben bedeutet auch, ein Bild des Interviewpartners zu zeichnen und darin nicht nur Worte wirken zu lassen, sondern auch Verhalten, Gestik, Mimik und Rhetorik zu beleuchten. Die Kunst des Porträtschreibens besteht darin, in Worten die Person zu beschreiben, ohne sie zu kommentieren.
Ein Porträt ist keine schicke Auflistung vom Werdegang des Interviewpartners, denn ein nachrichtliches Porträt ist vergleichsweise „kalt“ und kein klassisches journalistisches Porträt. Der Facettenreichtum fehlt. Dies ist oft der Tatsache geschuldet, dass keine Möglichkeit bestand, die zu porträtierende Person im Gespräch zu erleben – dann fehlen die Farben, die aus Gestik, Mimik, Rhetorik und Verhalten gemischt werden, auch im Text.
Stilistisch betrachtet gestaltet sich das Porträt oft ähnlich wie eine Reportage. Das heißt aber für den Journalisten auch, dass er neben seinem Gegenüber auch noch das Drumherum beobachten muss, um ein Bild der Szene anschließend in Worte kleiden zu können.
Sicherlich gibt es Interviews im World Wide Web, und sogar in mehreren Varianten. Neben Interviews in schriftlicher Form gibt es auch Hörbeiträge und Videos von Interviews. Und ohne die Journalistenzunft hochloben zu wollen, zeigt sich dennoch: Ein gut recherchiertes und fachlich versiertes Interview erkennt man am Stil und oft auch an der Quelle.
Viele Medienmacher (Online-Magazine, Radio- und Fernsehsender) stellen Interviews ins Netz, die allen Regeln der Interviewkunst folgen. Doch es gibt auch die andere Seite der Medaille. Die nämlich, in denen ein Interviewer einer anderen Person ein Mikrofon unter die Nase hält und im Netz anschließend ein Frage-Antwort-Ping-Pong ohne journalistischen Charakter zu finden ist.
Ähnlich verhält es sich beim Porträt. Ja, es gibt Porträts, die in der Online-Welt zu finden sind – und auch hier gibt es die, die die eingangs aufgezeigten Anforderungen erfüllen und die semi-professionellen Porträts in Schrift- oder Videoform. Warum? Weil Interview und Porträt nicht als Fachbegriffe geschützt sind und selbst das heute nicht mehr davor bewahren würde, den eigenen kritischen Blick auf die Medien zu richten, die im Internet kursieren.
Bereits im ersten, zweiten und dritten Teil der Serie: Das ABC der Artikelformen wurden verschiedene Formen vorgestellt. Heute widmen wir uns dem Thema:
Brandaktuell zu sein ist die eine Seite der Medaille. Das ist der Anspruch, den Tageszeitungen verfolgen – oder Newsportale in der Online-Welt. Doch was bleibt dann noch für die Print- und Online-Magazine übrig? Dasselbe Thema nochmal (aber eben viel zu spät) zu bringen, macht zumindest für die Leserzielgruppe keinen Sinn. Nun ist die Recherchefähigkeit des Journalisten gefragt, denn in einer Magazingeschichte beziehungsweise einem Hintergrundartikel werden all die Dinge beleuchtet, die in einem aktuellen Bericht, wenn überhaupt, nur angerissen würden.
Die H-10-Abstandsregelung des Windkraftgesetzes ist nun auch in Bayern angekommen. Fortan soll gelten, dass der Mindestabstand zwischen einer Windkraftanlage und dem nächsten Wohnhaus zehnmal so hoch ist wie die Anlage selbst. Gut, das ist beim Dauerbrenner-Thema Energiewende natürlich eine Meldung wert.
Doch nun steht die Magazin-Redaktion vor der Wahl: Soll sie das Thema verstreichen lassen oder aufgreifen? Sie entscheidet sich dazu, das Thema aufzugreifen. Nun wird recherchiert. Hintergrundinformationen sind gefragt!
Ist erst einmal alles zusammengetragen, müssen diese Informationen aufbereitet werden. Das geht ebenfalls auf zwei Wegen: en bloc oder in ansprechend verpackten Inhaltshäppchen. Neben einem großen Beitrag, in dem Verfechter und Gegner zu Wort kommen, gibt es eine ausführliche Tabelle zum aktuellen Bestand sowie zu den Planzahlen in puncto Windkraft. Der Bundeslandvergleich lässt sich grafisch in einer Karte umsetzen, die zeigt, wo es aktuell Abstandsregelungen gibt. Fachbegriffe werden im Glossar kurz erklärt.
Und fertig ist die Magazingeschichte für das Printformat, denn ein aktuelles Thema wurde von mehreren Seiten beleuchtet und mit Hintergrundinformationen aufgewertet. So bleibt der Anlass der Berichterstattung klar, denn das Thema ist und bleibt aktuell, aber der Hintergrundartikel bietet durch Zusatzinformationen einen attraktiven Mehrwert für die Leser.
Switchen wir in die Welt der URLs wird eines klar: Es gibt sie, die gut recherchierten Texte, nur der Online-Journalist kann es sich manchmal etwas einfacher machen, als sein Print-Pendant. Ein Glossar kann beispielsweise erstellt werden, aber es kann auch einfach ein Link auf ein verlässliches Online-Lexikon gesetzt werden. Dafür, dass der Online-Journalist an dieser Stelle weniger Recherchearbeit hat, bekommt er natürlich prompt eine andere Aufgabe auf den Tisch: Er kann und sollte auf Videos, weiterführende Artikel etc. verlinken – und die muss er erst suchen und prüfen.
Leider neigen gerade Online-Artikel dazu, durch Affiliate Marketing zu leiden. Denn wenn ein Artikel nur so von Links zu Amazon und Co. strotzt, wird es vergleichsweise schwierig, den wahren Informationsgehalt herauszufiltern. Ebenso verwässert wird guter Content auch durch eine zu stark geforderte Keywordoptimierung.
Das „Content ist King“-Schild an dieser Stelle hochzuhalten, ist nicht das Anliegen, doch ein Appell ist an dieser Stelle durchaus angebracht: Gute Texte werden gerne gelesen, weiterempfohlen, und der Leser kommt immer wieder. Daher sollte unter dem Damoklesschwert der Suchmaschinenoptimierung nicht der Inhalt leiden, denn gerade der Online-Journalismus bietet zahlreiche Möglichkeiten, die geforderten Hintergrundinformationen auf Knopfdruck zur Verfügung zu stellen.
Im Falle der H-10-Regelung wäre es zum Beispiel leicht möglich, auf das offizielle Gesetzespapier zu verlinken. Schön, wenn die Regelung selbst für Leser ohne Jurastudium in einfachen Worten erklärt wird, aber die Gesetzesfans werden den Verweis auf den Paragrafendschungel der Content-Aufbereitung als wahren Mehrwert schätzen.
Simon Unge ist außer sich. »So ein Scheißhaufen«, ruft er. Simon Unge heißt eigentlich Simon Wiefels und ist YouTuber. Bis kurz vor Weihnachten betrieb er auf der Video-Plattform die beiden Kanäle »Ungespielt« und »Ungefilmt«. Mit »Scheißhaufen« meint Unge das Netzwerk »Mediakraft«, bei dem er 2013 einen Zweijahresvertrag unterzeichnete. Doch die Liebe währte nicht lange, wie Unge am 20. Dezember 2014 in einem Abschiedsvideo sagt, dass er »die schwerste Entscheidung meines Lebens« nennt. Tatsächlich gab es in letzter Zeit einige kontroverse Diskussionen rund um die YouTube-Netzwerke. Ein Überblick.
Eigentlich lief alles so gut: Unge gehörte zu den erfolgreichsten YouTubern in Deutschland. Angefangen hatte der 24-Jährige im Jahr 2011 mit Videos über Longboards, Dreadlocks und veganes Essen. Nachdem die Videos zunächst nicht zum gewünschten Erfolg wurden, begann er zwei Jahre später mit »Let’s Plays«. Dabei werden Videospiele gespielt und gleichzeitig unterhaltsam kommentiert. Auf seinem Kanal »Ungespielt« präsentierte Unge seitdem vor allem das Spiel »Minecraft« und machte sich so in der Szene einen Namen. Daneben veröffentlichte er auf dem Kanal »Ungefilmt« Videos aus seinem Privatleben. Auch Interviews mit Freunden und anderen YouTubern waren dort zu sehen.
In einem gemeinsamen »YouTuber-Haus« lernte Unge dann andere Videoblogger kennen, die bereits zum »Mediakraft«-Netzwerk gehörten. Daher habe er sich gedacht, dass es sinnvoll sei, dort ebenfalls zu unterschreiben, sagt er in dem Video. Er habe auf Synergien und Unterstützung gehofft, sagt er rückblickend. »Mediakraft« habe sich hierfür angeboten.
YouTube-Netzwerke sind am ehesten mit Plattenlabels vergleichbar. Die Netzwerke erhalten von den Videobloggern entsprechende Verwertungsrechte und unterstützen den Künstler zum Beispiel bei der Vermarktung. Dafür erhalten sie einen Anteil an den Werbeeinnahmen, die der YouTube-Kanal erzielt. Branchenüblich sind dabei, je nach Bekanntheit des Künstlers, etwa 10 bis 30 Prozent. Neben der Firma »Mediakraft Networks« gibt es unter anderem auch die deutschen Netzwerke »Constantin Film«, »kbshowTV« und »IDG Germany«.
Für Simon Unge hat dieses Modell offensichtlich nicht funktioniert, denn schnell kehrte bei ihm Ernüchterung ein. Mediakraft habe ihn nicht ausreichend unterstützt, sagt er heute. So habe er zusammen mit einigen anderen YouTubern um Sponsoring für eine kostspielige Tour durch Deutschland mit dem Longboard gebeten. Trotz mehrmaliger Nachfrage habe das Netzwerk darauf nicht reagiert. Erst nachdem die Deutsche Telekom die Tour unterstützt habe, sei auch Mediakraft aktiv geworden. In diesem Zuge habe das Unternehmen sogar bereits veröffentlichte Videos gelöscht.
Zwar habe er versucht durch persönliche Gespräche die Situation zu ändern, doch hätten diese nicht zum gewünschten Erfolg geführt. »Die Situation nach den Gesprächen war genauso wie zuvor«, sagt Unge. Daher habe er sich entschieden »den juristischen Weg zu gehen« und habe über seinen Anwalt den Vertrag mit »Mediakraft« kündigen lassen. Künftig möchte Unge nur noch Videos auf dem Kanal »Unge« publizieren, der aus »rechtlichen Gründen« einem Dritten gehört, wie er in einem Interview mit »Spiegel Online« erklärte.
Beim Netzwerk »Mediakraft« sieht man die Situation erwartungsgemäß anders. In einer Pressemitteilung bestritt der CEO von »Mediakraft«, Spartacus Olsson, dass das Unternehmen Unge keine Kooperationen ermöglicht hätte. Tatsächlich habe man dem 24-Jährigen verschiedene Leistungen angeboten, die Unge aber ausgeschlagen habe. Dazu zähle auch die »Hilfe bei der Organisation der Longboard-Tour«. Dass Unge das Sponsoringangebot der Deutschen Telekom angenommen habe, sei vertragswidrig erfolgt. Überhaupt gebe es »klare Vertragsregeln«, an die sich das Unternehmen halte. Ein einseitiges Kündigungsrecht für Unge sei darin nicht vorgesehen. Zudem schädige der YouTuber durch sein Verhalten viele Mitarbeiter von »Mediakraft«. »Wenn unsere Verträge nicht eingehalten werden, würden wir unsere Geschäftsgrundlage in verantwortungsloser Weise gefährden«, schreibt Olsson.
»Mediakraft« nehme die geäußerte Kritik sehr ernst. Nach wie vor unterstütze man täglich die eigenen Partner, sei es bei der Schaffung neuer Inhalte oder bei der Wahrung der entsprechenden Schutzrechte. Insgesamt bekundeten »zahlreiche Partner ihre Unterstützung zu Mediakraft«, heißt es in der Pressemitteilung.
Für Unge ist der Schritt, den Vertrag zu kündigen, nicht unproblematisch und auch finanziell durchaus riskant. Zum einen aufgrund der Verträge, die der 24-Jährige offenbar mit »Mediakraft« geschlossen hat. So habe ihm ein Mitarbeiter des Netzwerks gedroht, dass er »in die Privatinsolvenz gehen« würde, wenn er aussteige, sagt Unge in dem Abschiedsvideo.
Zum anderen waren die beiden Kanäle selbst aber auch finanziell äußerst attraktiv. So erhalten erfolgreiche Kanalinhaber eine entsprechende Vergütung von Google, wenn der Suchmaschinenbetreiber dort Werbung schaltet. Und die gab es aufgrund der Zuschauerzahlen reichlich zu sehen: Mehr als 30 Millionen Views erzielten »Ungespielt« und »Ungefilmt« zusammen jeden Monat. Zudem hatten die Kanäle über eine Million Abonnenten auf YouTube.
Damit können sie sogar problemlos mit digitalen Spartenkanälen im Fernsehen mithalten. Rechnet man die Zuschauerzahlen jeweils auf die einzelnen Videos um, so waren sie beispielsweise erfolgreicher als die Sendung »Neo Magazin« mit Jan Böhmermann auf ZDFneo.
Daher erzielte Unge hohe Werbeeinnahmen. Nach einer Auswertung der Website socialblade.com soll er mit »Ungespielt« und »Ungefilmt« monatlich deutlich über 10.000 Euro verdient haben. Doch damit ist Unge noch ein vergleichsweise kleiner Fisch: Einer der größten deutschen YouTuber, Erik Range, soll nach einem Bericht von »Focus Online« sogar auf bis zu 127.000 Euro pro Monat kommen.
Und Unge ist auch nicht der Einzige, der mit seinem YouTube-Netzwerk unzufrieden ist. Bereits Anfang November 2014 berichtete Stefan Niggemeier für die »Krautreporter« über die zunehmende Kommerzialisierung der YouTube-Szene, die viele Videoblogger desillusioniere.
Einer davon ist Florian Mundt, der unter dem Pseudonym »LeFloid« Videos über Politik und Zeitgeschehen veröffentlicht. Auch er trennte sich von »Mediakraft«. Sein größter Kritikpunkt an den Netzwerken ist, dass sie die Kreativität der jungen Leute zerstörten. So berichtet er, dass viele Netzwerke schnellen Erfolg versprächen, beispielsweise dass der Kanal der »nächste große, geile Shit« werde. Die Nachwuchskünstler würden »künstlich aufgepumpt und hochgezüchtet« und der Erfolg werde ihnen »künstlich eingeimpft«. Dies mache seiner Meinung nach vieles kaputt.
Mittlerweile findet etwas statt, was Niggemeier die »Emanzipation der YouTuber« nennt. Viele kehren den großen kommerziellen Netzwerken den Rücken und kämpfen entweder wieder alleine oder schließen sich mit anderen Künstlern zusammen.
Mit teilweise merkwürdigen Folgen: So berichtet der Medienjournalist, dass der Videoblogger Robin Blase, Alias »RobBubble«, bei einer Veranstaltung zunächst nicht hineingelassen wurde, weil er sagte, er gehöre keinem Netzwerk an. Nur weil einige seiner Fans ihn bereits erkannten und um Autogramme baten, wurde er schließlich doch zur Veranstaltung vorgelassen.
Überhaupt die Fans: Sie stellen mittlerweile eine echte Macht dar, wie auch »Mediakraft« zu spüren bekam. Nachdem Simon Unge sein Abschiedsvideo veröffentlichte, brach über das Unternehmen ein Shitstorm herein. Innerhalb kürzester Zeit wurden Tausende Kommentare auf der Facebook-Seite des Unternehmens veröffentlicht. Die Seite wurde deshalb vorübergehend sogar abgeschaltet. Auch andere YouTuber bekamen den Frust der Massen ab: So kritisierten viele Fans von Unge Videoblogger, die weiterhin bei »Mediakraft« unter Vertrag stehen.
Wie groß der Einfluss dieser Fans ist, macht auch ein anderes Beispiel deutlich: Als im Sommer in der NDR-Sendung »ZAPP« aufgedeckt wurde, dass etliche YouTuber auf ihren Kanälen Schleichwerbung betreiben, gab es in der Fan-Gemeinde heftige Reaktionen. Diese richteten sich aber nicht gegen die Kanalbetreiber, sondern gegen die Medien. Die YouTuber müssten ja »schließlich auch etwas verdienen«, sagten viele. Und überhaupt: Das alles sei doch gar nicht so schlimm.
Die Fans und Abonnenten der Kanäle fühlen sich dabei dem jeweiligen YouTube-Star zugehörig und verpflichtet. Es ist ein bisschen so, wie bei den Glaubenskriegen »Apple gegen Microsoft« oder »Canon gegen Nikon«. Wer etwas gegen den geliebten YouTuber sagt, bekommt von der »Community« entsprechend Gegenwind. Damit unterscheidet sich der Fan-Kult um die vermeintlichen YouTube-Stars nur unwesentlich von dem, der um »echte Promis« getrieben wird.
Das hat auch Marie Meimberg erkannt. Die YouTuberin veröffentlichte ein selbstkritisches Video, indem sie den Umgang mit den eigenen Fans kritisierte. So machten sich viele Künstler etwas vor, wenn sie meinten, dass sie mit den Fans auf Augenhöhe diskutierten. Die Abonnenten seien keine echten Freunde, viele hielten aber weiter an dieser Illusion fest.
Die Netzwerke halten diese Illusion häufig aus wirtschaftlichen Interessen weiter aufrecht. Auch deswegen kritisieren Meimberg, Mundt und Unge sie. Freilich: »Nicht alle YouTube-Netzwerke sind schlecht«, sagt Simon Unge in seinem Abschiedsvideo. »Man muss nur das Richtige für sich finden.« Bei »Mediakraft« war das offensichtlich nicht der Fall.