Bereits vor beinahe zehn Jahren unkte die Direktorin der Journalism School / University of Southern California, Geneva Overholser, dass “Journalismus, wie wir ihn kennen, ist vorbei”. Gemünzt hatte sie diese Aussage auf den Zeitungsjournalismus, der bereits Jahre vor der Banken- und Finanzkrise in einer eindeutigen Absatzkrise steckte. Beinahe die Hälfte der amerikanischen Zeitungen erwirtschaftete zu diesem Zeitpunkt keine Gewinne mehr, sondern schrieb rote Zahlen.
Die Gewohnheiten der Menschen haben sich geändert. Die Zeitung zum Frühstück ist längst nicht mehr das klassische Modell, auch wenn jüngste Umfragen belegen, dass Schüler in Deutschland im Medium Zeitung nach wie vor ein großes Potenzial für wertvolle Orientierungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten zu sehen scheinen. Dennoch haben insbesondere beim jüngeren Publikum die elektronischen Informationsmedien der Tageszeitung den Rang zu einem guten Stück abgelaufen. Ist das als Hinweis darauf zu werten, dass das Internet seine Sache besser macht?
Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, schrieb in einem Grundlagenartikel einmal, dass man guten Journalismus inzwischen primär dafür brauche, um Nachrichten einzuordnen, nicht um sie zu verbreiten. Im Hinblick auf die Verbreitung habe das Internet klar die Nase vorn. Guter Journalismus in dem Sinne, wie er sich auf ihn bezieht, sei daher im Grunde unabhängig vom Medium und könne sowohl gedruckt als auch online betrieben werden. Der Zeitungsjournalismus wäre aufgrund seiner Ausführungen also weniger wegen der Konkurrenz durch das Internet, als vielmehr wegen der Verbreitung unrelevanter bzw. uninteressanter Inhalte in der Krise.
Wie auch immer, viele Zeitungsjournalisten sind inzwischen dazu übergegangen, das eigene Produkt schlecht zu reden bzw. zu schreiben und in einer Art morbider Lust vom eigenen Ende zu orakeln. Die eingangs gemachten Ausführungen zur Lage auf dem US-Zeitungsmarkt war für viele deutschsprachige Publizisten eine vielleicht nicht willkommene, aber dennoch lustvoll genutzte Vorlage, um aufgeregt auf die sich bereits realisierte Ansteckungsgefahr hinzuweisen. Dabei wäre eine gründliche Ursachenforschung weitaus konstruktiver.
Zeitungen sind seit jeher bemüht die zeitliche Distanz zwischen einem bestimmten Ereignis, welches einer Berichterstattung wert ist, und der Veröffentlichung in der eigenen Publikation auf ein Minimum zu verkleinern. Das ist ihnen durch ein gut ausgebautes Netz von Korrespondenten und Nachrichtenquellen und die Nutzung modernster Kommunikationswege weitestgehend gelungen. Aber im Wettbewerb mit dem Internet steht man in dieser Hinsicht auf verlorenem Posten. Während die Zeitung ihre Leser im Regelfall am nächsten Morgen über wichtige Ereignisse des Vortags informiert, schafft es das Internet mittlerweile beinahe in Echtzeit. Diese Schwäche muss den Zeitungen bewusst sein, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, einen aussichtslosen Kampf zu kämpfen.
Denn eine wirkliche Ergänzung von Zeitungs- und Onlinejournalismus kann nur dann statt finden, wenn man sich auf seine spezifischen Stärken besinnt. Da es beim Zeitungsjournalismus nicht die Geschwindigkeit ist, muss es etwas anderes sein. Etwas, das in der Rasanz der Internet-Berichterstattung zumeist auf der Strecke bleibt: Analytischer Tiefgang, gründliche Hintergrundbeleuchtung, kritische Kommentierung. Auf diese Weise, also durch die Auswertung und Bewertung von Informationen, kann die Zeitung unter Beweis stellen, dass sie gegenüber dem Medium Internet einen unbestreitbaren USP besitzt, mit dem sie sich gegenüber diesem abgrenzt und abhebt.
Im Grunde hat das Internet dem Journalismus einen Gefallen getan, denn es hat dazu beigetragen, den Wert von gutem Journalismus heraus zu stellen. Der macht sich nämlich nicht durch ein Überangebot von schnell verfügbaren Informationen bemerkbar. Zeitungen, die das verstanden haben, werden eine ausreichend große Leserschaft haben und überleben. Denn sie werden ihren Lesern eine unerlässliche Hilfe zum Verständnis vieler Vorgänge sein, die in unserer globalisierten Welt einer klugen und detaillierten Analyse bedürfen. Wenn eine Zeitung ihren Lesern das ist, dann hat sie damit einen Status erreicht, von dem das World Wide Web wahrscheinlich noch in Jahren träumen wird.
Andrea Gerum
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