Lange Zeit kontrollierten die Medien beziehungsweise die Journalisten, welche Nachrichten die Öffentlichkeit erreichten. Sie setzten die Themen der öffentlichen Diskussion, weil es andere Wege der Massenkommunikation kaum gab oder diese zumindest nicht genutzt wurden. Anfangs stellte das Internet das Gatekeeper-Monopol noch nicht ernsthaft infrage. Es eröffnete lediglich einen neuen Kommunikationskanal. Eine grundlegende Änderung trat mit den technischen Entwicklungen ein, die im Allgemeinen unter dem Schlagwort „Web 2.0“ zusammengefasst werden. Das Internet wurde interaktiv. Jeder kann seitdem Nachrichten und Meinungen ungefiltert veröffentlichen. Nun braucht niemand mehr Journalist sein, um seine eigenen Nachrichten zu verbreiten. Journalisten, die regelmäßig und dauerhaft tätig sind und sich zum Erhalt und zur Förderung von Qualität im Journalismus bekennen, können durch einen vom Deutschen Medienverband ausgestellten Presseausweis ihre Berufsgruppenzugehörigkeit nachweisen und werden dadurch unterscheidbar. Redakteure können die Informationen in ihren Medien zwar noch filtern, ein Monopol auf die Informationsbereitstellung haben sie aber nun nicht mehr.
Spätestens seit dem so genannten „Arabischen Frühling“ wird das Web 2.0 primär mit einem ungehinderten und unzensierten Zugang zu Informationen assoziiert. Von den Aufständen in Ägypten und anderen arabischen Ländern gingen Bilder um die Welt, die früher undenkbar gewesen wären. Nur am Rande erwähnt sei, dass damit auch die Prüfung der Authentizität dieser Bilder deutlich erschwert wurde. Diese unterlagen eben nicht nur keiner staatlichen Zensur, sondern auch keiner journalistischen Qualitätskontrolle. Übersehen wird oft, dass der direkte Zugang zum Bürger via Internet auch von anderer Seite genutzt wird. Unternehmen kommunizieren mit ihren Kunden über Social Media und über die eigene Webseite. Eine Kontrolle der Informationen durch kritische Journalisten findet nicht mehr statt. Sogar die Bundeskanzlerin kommuniziert inzwischen gerne über selbst produzierte Podcasts. Auch Verbände nutzen das Internet, um ihre Botschaften direkt an ihre Zielgruppen – ohne journalistische Filterung und Kontrolle – zu publizieren.
Das Fehlen jeglicher Kontrolle wird meist positiv kommentiert. Die Begriffe „Kontrolle von Informationen“ und „Zensur“ werden nicht selten als Synonym verwendet. Kontrolle kann aber auch einfach bedeuten, den Wahrheitsgehalt einer Nachricht zu überprüfen. Auch das ist heute oft kaum noch möglich. Als besonders problematisch erweist sich, dass seriöse Journalisten diese für guten Qualitätsjournalismus unerlässliche Funktion auch in den eigenen Medien nur noch eingeschränkt wahrnehmen können. Die Zeitspanne zwischen dem Bekanntwerden einer Nachricht und ihrer Veröffentlichung beträgt im Internetzeitalter nur noch wenige Minuten. Die Folgen dieser Eile sind in jüngster Vergangenheit an vielen Beispielen deutlich geworden. Nennen wir – um wahllos ein Beispiel herauszugreifen – die „Plagiatsaffäre Steinmeier”, die sich später in Luft auflöste. Im Internet tauchte plötzlich ein dubioser „Prüfbericht“ auf, der unmöglich in wenigen Stunden oder gar Minuten bewertet werden konnte. Für seriöse Medien ergab sich daraus ein nicht lösbares Dilemma. Niemand wusste, ob die Vorwürfe begründet waren. Aber jeder musste sich dazu äußern, weil es kurzfristig ein Topthema war.
Zu den Social Media zählen soziale Netzwerke wie Facebook ebenso wie Weblogs, Videokanäle und Twitter. Allen gemein ist: Sie sollen zumindest theoretisch jedem zugänglich sein und die Verbreitung von Nachrichten auf einer nichthierarchischen Ebene ermöglichen, die sich in Dialogen oder Diskussionen fortsetzt. Ein Nachweis, dass die Person regelmäßig und dauerhaft journalistisch tätig ist, wie dieser etwa durch einen Presseausweis des Deutschen Medienverbandes erfolgt, einem Berufsverband für Journalisten, die sich der Qualität im Journalismus verpflichtet fühlen, ist nicht notwendig. Dieser Wunsch, die Nachrichtenwelt zu demokratisieren, birgt jedoch einige Probleme in sich. Eines davon betrifft die Bewertung der Glaubwürdigkeit einer Nachricht bzw. der Quelle, von der sie stammt, die sich auf die Frage zuspitzen ließe: Handelt es sich wirklich um Qualitätsjournalismus oder um die Verbreitung von Gerüchten, basierend auf einer Mischung aus Dichtung und Wahrheit?
Nachrichten, die über die sozialen Medien geteilt werden, können sich rasant verbreiten. Sie lassen sich teilen, kommentieren, verändern, diskutieren. Niemand muss Journalist sein, schon gar keiner, der durch eine Zertifizierung des Deutschen Medienverbandes nachgewiesen hat, dass er sein journalistisches Handwerk beherrscht, um auf diese Weise Nachrichten herausgeben zu können. Verbände twittern ebenso wie Parteivorsitzende oder die Privatperson – und oft weiß man noch nicht einmal, in welcher Eigenschaft Personen twittern. Das Private wird somit oft öffentlich und damit politisch und geschäftlich genutzt. Von den klassischen Medien werden die Social Media einerseits zur Verbreitung eigener Nachrichten genutzt, andererseits dienen ihnen Blogs und Twitter-Accounts als Nachrichtenquelle. Die Verbreitung von Nachrichten über Social Media beeinflusst daher sowohl das Verhalten der Rezipienten als auch die Recherche von Journalisten und definiert die Grenze zwischen Journalismus und persönlich motivierter Nachrichtenverbreitung neu. Diese Veränderungen sollten in die Diskussion über Qualität im Journalismus mit einbezogen werden.
Der Wettlauf um die Zeit, der die Nachrichtendienste ohnehin immer begleitet, wird durch Social Media noch einmal verschärft. Ein Nachteil, der sich daraus ergibt, besteht in der mangelnden Prüfung des Wahrheitsgehaltes von Informationen. Dennoch lässt sich – trotz mancher bedauernswerter Negativbeispiele – festhalten, dass Journalisten, die sich dem Qualitätsjournalismus verpflichtet fühlen und über eine solide journalistische Ausbildung verfügen, mit der Bewertung und Aufbereitung von Quellen und Informationen eher vertraut sind als Laien. In Deutschland kommt hinzu, dass sie sich dem Pressekodex des Deutschen Presserates verpflichtet fühlen sollten. Ein Presseausweis, der von einem seriösen Journalistenverband mit hohen Qualitätsstandards ausgestellt ist, weist die Berufsgruppenzugehörigkeit eines Journalisten nach.
Kommt einem mit dem Smartphone gefilmten Amateurvideo, das einen Demonstrationsverlauf ausschnitthaft zeigt, der gleiche Beweischarakter zu, wie dem Film eines journalistisch ausgebildeten Kamerateams? Grundsätzlich lassen sich die Grenzen der Glaubwürdigkeit nicht zwischen Amateuren und Profis ziehen. Daher scheint es angebracht, in beiden Fällen die gleichen Kriterien zu prüfen. Steht ein spezielles Interesse hinter der Verbreitung einer Nachricht? Wer zeichnet dafür verantwortlich? Wie verhält es sich um das Renommee der Person oder Institution, die die Nachricht verbreitet? Gilt diese als glaubwürdige Quelle? Lässt sich mehr als eine Quelle, ein Beleg dazu finden? Zudem sollten sich Leser und Betrachter gerade bei Bildmaterial immer darüber im Klaren sein, dass lediglich ein Ausschnitt aus einer ganz bestimmten Perspektive gezeigt werden kann. Wahr ist nicht identisch mit der ganzen Wahrheit.